Ungelebtes Leben
Kolumne Nr. 23 im heutigen Bieler Tagblatt
Mort pour la France
In jeder französischen Ortschaft , in jedem noch so kleinen Dorf, steht ein Denkmal, auf welchem die Namen derjenigen Söhne aufgelistet sind, welche im Krieg ihr Leben für Frankreich gelassen haben. Zahlreich sind die Namen der Gefallenen beim 1. Weltkrieg (la grande guerre 1914-1918), etwas weniger beim 2. Weltkrieg (l’occupation), einzelne beim Algerien- und beim Indochinakrieg.
So viel ungelebtes Leben von jungen Menschen!
Jährlich werden am Jour de l’armistice (Waffenstillstand 1918) die Gefallenen mit einer Kranzniederlegung geehrt. Auch in unserem 80-Seelendörfchen mitten in der Gascogne hält der Maire an jedem 11. November eine kurze Ansprache und liest die zwölf Namen der gefallenen Soldaten unserer Gemeinde vom Denkmal ab. Der Zweite Weltkrieg wird jeweils nur kurz erwähnt, denn niemand erinnert sich gerne daran, dass es in jedem Dorf auch Familien gab, welche mit der deutschen Besatzungsmacht kollaboriert haben. Und noch schmerzhafter ist die Aufarbeitung der Kolonialgeschichte mit all den brutalen Kriegsverbrechen, welche die Franzosen in Nordafrika verübt haben. Trotz dieser unrühmlichen Geschichte akzeptiert die französische Gesellschaft Einsätze der militärischen Streitkräfte im Ausland, wenn es um Friedenssicherung in Krisenherden und um die Abwehr von Terrorismus geht. Die Bilder von mit Fahnen bedeckten Särgen, die aus den Kampfzonen nach Frankreich zurückkommen, lassen jeweils die ganze Nation innehalten und zusammenstehen. Sind gerade deshalb die Französinnen und Franzosen eher bereit als andere Staaten, in das Friedensprojekt Europa zu investieren?
Frankreich hat schon vor Jahren die allgemeine militärische Dienstpflicht abgeschafft, diskutiert jetzt aber die Einführung eines obligatorischen Zivildienstes für alle Jugendlichen, um den nationalen Zusammenhalt zu fördern.
Eine Art Zivil- und Friedensdienst anstelle des Militärdienstes wäre vielleicht auch etwas für die Schweiz. Ein so reiches Land könnte mehr Solidarität zeigen mit den Armen und für den Frieden auf der Welt, statt sich hinter seiner Neutralität zu verstecken, wenn kein finanzieller Gewinn resultiert. Eine Neutralität, die sofort vergessen geht, wenn lukrative Geschäfte winken mit dem Verkauf von Kriegsmaterial in Länder, welche Menschrechte systematisch verletzen und wo Bürgerkrieg herrscht. Diese neue skandalöse Regelung muss schnellstmöglich korrigiert werden.
Dies war unsere letzte Kolumne. Wir danken dem Bieler-Tagblatt für das uns gewährte Gastrecht und den Leserinnen und Lesern für ihr Interesse.
Ruedi und Stephanie Baumann
Alte Männer
Kolumne im heutigen Bieler Tagblatt
Alte Männer
Darf man als AuslandschweizerIn den schweizerischen Bundesrat kritisieren? Wir meinen ja! Denn wenn wir das aktuell regierende Altherrengremium in der Schweiz mit unserem jung–dynamischen französischen Präsidenten vergleichen, drängen sich ein paar respektlose Bemerkungen geradezu auf.
Beginnen wir beim Amtsjüngsten. Der Hoffnungsträger aus dem Tessin hat sich mit seinem Opportunismus schon vor Amtsbeginn ganz schön disqualifiziert: rasch vor der Wahl seine Doppelbürgerschaft als italienischer Staatsbürger aufgeben, im Gegenzug schnell der Waffenlobbyorganisation Pro Tell beitreten, um dann reumütig sofort wieder auszutreten…. Ist das wirklich der Vertreter, den sich das Tessin seit zwanzig Jahren gewünscht hat?
Über Jahre hinweg gab es für die grösste Partei der Schweiz neben Zuwanderung und EU-Nein nur ein Thema: Wir wollen endlich eine angemessene Vertretung im Bundesrat! Und wie sieht jetzt ihre Abordnung aus? Ein „Ke-Luscht“-Bundesrat, der sich von Abstimmungsniederlage zu Abstimmungsniederlage hangelt, und offenbar keine Lust verspürt, seine Kuhglocken-Sammlung vom Bundeshaus ins Zürcher Oberland zu zügeln. Der zweite überforderte SVP-Vertreter aus den Waadtländer Rebbergen produziert Flop um Flop. Zu Beginn seiner Amtszeit setzte er sich nicht ganz uneigennützig für ein Steuerprivileg ein und damit in die Nesseln. Seither fällt er im Militärdepartement mit einem Fehlentscheid um den andern auf. Der Fraktionschef verteidigt seinen Verteidigungsminister mit dem Hinweis, dass dieser halt den VBS-Stall ausmisten müsse. Hallo, er spricht da von einem Departement, das schon seit 22 Jahren in SVP-Hand ist!
Der freisinnige Wirtschaftsminister hat es als Einziger geschafft, auch in Frankreich eine gewisse Bekanntheit zu erlangen. Mit seiner feurigen Rede zum Tag der Kranken „Rire, c’est bon pour la santé“ taucht er immer wieder im französischen Fernsehen auf. In Satiresendungen.
Den klugen Freiburger Bundesrat kann man nicht zu der Altherrenriege zählen. Er ist mit einer ausgewogenen Rentenreform am unseligen Widerstand der Ultrarechten und Ultralinken gescheitert und muss nun versuchen, die Scherben zu kitten.
Leider stellen die älteren Herren zurzeit die Mehrheit in der Schweizer Regierung. Das erklärt wohl den kürzlichen Entscheid, einen minimalen Vaterschaftsurlaub abzulehnen, dafür eine Milliarde für Olympia zu genehmigen.
Zum Glück gibt es noch Frauen im Bundesrat. Sie haben den epochemachenden Entscheid zur Energiewende durchgebracht und jeweils als Bundespräsidentin dem Ausland und den Auslandschweizern gezeigt, dass Helvetien nicht nur alternde Söhne hat!
Ruedi und Stephanie Baumann
Erntezeit
Kolumne im heutigen Bieler Tagblatt
Die Felder sind abgeerntet, fünfzehn Tonnen Bio- Sonnenblumenkerne und ein Container Kichererbsen haben wir an die Genossenschaft abgeliefert und die Pflanzenreste in den Ackerboden eingearbeitet. In den nächsten Wochen werden wir schon wieder Getreide aussäen. Säen, pflegen, ernten – alle Jahre wieder.
Wir bewirtschaften im sonnigen Südwesten Frankreichs 70 Hektaren Boden. Für schweizerische Verhältnisse wäre das ein sehr grosser Landwirtschaftsbetrieb, hier in der Gascogne ist es allerhöchstens Durchschnitt. Wir haben in den letzten siebzehn Jahren die verschiedensten Ackerkulturen angebaut: Brot- und Futtergetreide, Triticale, Ackerbohnen, Kichererbsen, Sonnenblumen und Luzerne.
Die Böden sind ton- und kalkreich, zum Teil auch flachgründig und steinig: Für Kartoffelanbau oder gar Zuckerrüben, wie im Berner Seeland, sind sie völlig ungeeignet. Körnermais und Soja gedeihen gut, falls die Kulturen regelmässig bewässert werden können, denn die Niederschläge sind rar und die Sommer heiss, ideale Bedingungen für unsere Photovoltaik-Anlage. Eine Augenweide sind unsere Naturwiesen mit nicht weniger als 28 verschiedenen wild wachsenden Orchideenarten! Das spärliche Naturwiesenheu verkaufen wir an benachbarte Landwirte und Pferdehalter.
Wir haben bewusst keine Tiere auf unserer Ferme, um möglichst unabhängig zu sein und hin und wieder auch Auslandfereien und Besuche in der Schweiz machen zu können. Angestellte zu beschäftigen, liegt bei unserer Betriebsgrösse aus Kostengründen schlicht nicht drin.
Natürlich versorgen wir uns soweit möglich selber mit Gemüse aus dem Garten und Früchten und Nüssen von unsern Bäumen. Mit 500 selbst gepflanzten Rebstöcken versuchen wir, einen eigenen Cuvée de garage zu produzieren, schliesslich ist das weltberühmte Bordelais nicht weit! Und die örtliche Jagdgesellschaft sorgt für das dazu passende Wild: Rehrücken und Wildschweinbraten werden regelmässig an die örtlichen Bauern verteilt.
Ein Leben wie Gott in Frankreich?
Nun ja, auch hier gibt es Probleme. Auf vielen abgelegenen Höfen fehlen die Betriebsnachfolger. Die Produktepreise sind tief und die Gewinnmargen für bäuerliche Famileinbetriebe sehr eng. Kein Wunder, dass die Höfe immer grösser werden: 200 bis 300 Hektaren grosse Betriebe sind keine Seltenheit mehr. Dieser Strukturwandel wirkt sich auch auf die ohnehin kleinen Dörfer aus. Sie leiden unter Überalterung und Abwanderung, örtliche Restaurants und kleine Gewerbebetriebe müssen schliessen. Die Distanzen zu den Schulen und Versorgungszentren werden grösser. Angesichts der spärlichen öffentlichen Verkehrsmittel geht ohne eigenes Auto gar nichts mehr!
Und trotzdem: Frankreich ist vielfätig, aufregend, einfach grandios!
Ruedi und Stephanie Baumann
PS: Fotos zum Thema auf auswandererblog.ch
Französische Revolution?
Französische Revolution?
Unsere Auswanderer-Kolumne im heutigen Bieler Tagblatt
Die Schonfrist für den neuen französischen Präsidenten ist vorbei. Nach der sensationellen Präsidenten- und insbesondere Parlamentswahl hat die schwierige und mühsame Regierungsarbeit schon lange begonnen. Und wie zu erwarten war rasseln die Umfragewerte auf der Beliebtheitsskala in den Keller.
Man muss sich das einmal vorstellen, ein 39jähriger Jungspund gründet eine neue Bewegung („En marche“), erobert gegen alle politischen Schwergewichte der staatstragenden Parteien das Präsidentenamt und anschliessend gleich noch eine satte Mehrheit im französischen Parlament!
Er verspricht eine „moralisation“ der politischen Arbeit und setzt seine Versprechen auch gleich um:
- Ende der Doppelmandate für Parlamentarier (cumul des mandats)
- Amtszeitbeschränkung auf drei Wahlperioden (15 Jahre)
- Offenlegung der persönlichen finanziellen Verhältnisse des Politpersonals usw.
Man kommt nicht umhin, sich eine ähnliche Frühlingsputzete auch für das eidgenössische Parlament zu wünschen: Abwahl aller Sesselkleber, Verbot oder zumindest Offenlgung aller Verwaltungsratshonorare und Lobbyistenentschädigungen, Transparenz in der Parteienfinanzierung usw.
Wir wissen, in Frankreich warten gewichtige Gesetzgebungsarbeiten, angefangen beim viel geschmähten „code du travail“ bis hin zur Reform des Rentensystems. Und man wird es dem neuen Präsidenten nicht leicht machen: Alle die etwas verlieren, wollen demonstrativ auf die Strasse gehen: die Gewerkschaften, die Studenten, die „Maires de France“ und die Bauern. Dies aber wohlverstanden erst nach den wohlverdienten Ferienwochen.
Präsident Emmanuel Macron hat aussenpolitisch bisher gute Figur gemacht. Er hat die Wichtigkeit der Europäischen Union wieder ins Zentrum gerückt, er hat dem amerikanischen Präsidenten klipp und klar gesagt, dass nicht America first sondern mit dem Klimaabkommen und den Menschenrechten unser ganzer Planet und die internationale Solidarität Priorität haben müssen.
Wir können nur hoffen, dass die neue französische Revolution erfolgreich sein wird und vielleicht sogar etwas auf die Schweiz abfärbt! Schliesslich war es vor mehr als 200 Jahren die französische Revolution und Napoleon die uns vom Joch der gnädigen Herren befreit haben!
Ruedi und Stephanie Baumann
Bauer mit Migrationshintergrund
Bauer mit Migrationshintergrund
Kolumne im heutigen Bieler Tagblatt
Ich stand mit meinem fünfeinhalb Tonnen schweren, 120 PS starken Massey-Ferguson Traktor vor einer Rotlichtampel mitten im Städtchen Auch. Es ging weder vorwärts noch rückwärts. Die Ampel hatte schon mehrmals von rot auf grün gewechselt, aber mein Traktor bewegte sich nicht. Keinen Zentimeter. Hinter mir hatte sich bereits eine lange Autoschlange gebildet, da an dieser engen Stelle bei regem Gegenverkehr an Überholen nicht zu denken ist. Ich kletterte vom hohen Traktor herunter und bat die wartenden, sich zunehmend nervenden Autofahrer, mir zu helfen den Koloss mit vereinten Kräften auf das schmale Trottoir zu schieben. Weil der Randstein zu hoch war, schafften wir es nicht. Es bleibe mir wohl nichts anderes übrig, als auf Polizei und Abschleppdienst zu warten, erklärte ich den ungläubig kopfschüttelnden Automobilisten. Weiter hinten in der wartenden Kolonne ging ein wütendes Hupkonzert los.
Zugegeben, es ist schwer verständlich, wenn ein Landwirtschaftstraktor mit laufendem Motor keine Bewegung mehr machen will. Ich konnte mir ja auch nicht erklären, weshalb mein Traktor in letzter Zeit nach einem kurzen Halt auf dem Feld plötzlich nicht mehr weiter fahren wollte. Aber inzwischen sind halt auch Landmaschinen mit Elektronik vollgestopft. Und die ist manchmal etwas störrisch. Genau deswegen hatte ich mich entschlossen, meinen MF in die 60 Kilometer weit entfernte Werkstatt zu bringen. Auf diesem Weg musste ich wohl oder übel unsere Provinzstadt durchqueren.
Das Hupkonzert wurde immer lauter, mein Traktor brummte, die Warnleuchte auf dem Dach drehte sich munter blinkend, und die umstehenden Leute fragten sich, warum dieser bärtige, nicht ganz akzentfrei sprechende alte Bauer nicht endlich weiter fuhr und den Weg frei gab.
Nach wiederholtem Versuch erbarmte sich die Elektronik meiner und beschloss, wieder zu funktionieren. Der Traktor setzte sich langsam in Bewegung, während die umstehenden Leute mit dem Zeigefinger an ihre Stirn tippten. Was will denn dieser doofe Bauer mit seinem Traktor in der Stadt, wenn er nicht einmal fahren kann?
Es hat dann auch in der Werkstatt noch einige Zeit gedauert, bis sie den Elektronikschaden beheben konnten, und auch das nur mit Hilfe eines Diagnosecomputers. Gekostet hat das Ersatzteil über 700 Euros. Aber seither läuft mein MF wieder wie ein Schweizer Uhrwerk. Ich habe dem jungen Landmaschinenmechaniker, der den geheimnissvollen Schaden ausfindig machte, eine grosse Schachtel Schweizer Pralinen gebracht.
Ruedi und Stephanie Baumann
(Symbolbild)
Hausgeschichten
Kolumne im heutigen Bieler Tagblatt
Als wir vor nunmehr siebzehn Jahren nach langem Suchen unsere „Ferme en France“ gefunden, gekauft und bezogen haben, wussten wir so gut wie gar nichts über unser neues Zuhause. Haus und Hof waren verwahrlost, Äcker und Felder stillgelegt, und beim ersten Regenschauer tropfte es unerbittlich durch die Decken der Zimmer im Obergeschoss.
Plastikplanen und unzählige Wassereimer mussten fürs erste genügen. Dann haben wir mit der ganzen Familie und Freunden renoviert, geflickt und gestrichen, was das Zeug hält. Auf den Feldern musste gerodet, gemäht, alte Baumstrünke und grosse Steine entfernt werden.
Die letzten Besitzer der Ferme waren sogenannte „pieds-noirs“. Franzosen, die nach dem Algerienkrieg 1963 Nordafrika verlassen mussten, um sich im Süden Frankreichs eine neue bäuerliche Existenz aufzubauen.
Aber die Gebäude und die stellenweise noch vorhandene Umfassungsmauer sind viel älter. Es gibt jahrhundertealte, von Hand zugeschnittene mächtige Eichenbalken, und einzelne Hausmauern sind mit Lehm und Stroh verputzt. In einigen Aussenmauern sieht man noch Schiessscharten. Überreste von einem Turm und einem Pigonnier sind Zeugen einer langen Hausgeschichte, die wir nur erst in groben Zügen haben entschlüsseln können.
Die Alteingesessenen kennen noch einige Geschichten über die bewegte Vergangenheit unserer Ferme. So hätten während der Occupation im zweiten Weltkrieg die Resistancekämpfer unter dem Parkett Waffen versteckt, und nach der Libération hätten deutsche Kriegsgefangene mit den Steinen der Hofmauern und Türme einen neuen Zufahrtsweg anlegen müssen.
Haus und Hof haben offenbar im Laufe der Jahrhunderte unzählige Handwechsel und Renovationen erlebt. In den Fünfzigerjahren stand es einige Zeit leer. Der damalige Besitzer hatte in der Nachbarschaft einen neuen Bauernhof gekauft, liess um das alte Haus herum aber noch seine Schafe weiden. Diese hätten sich ab und zu Zutritt zum Haus verschafft. Und auch die Dorfjugend sei jeweils am Samstag Abend heimlich ins Haus eingedrungen und habe zu Akkordeon Musik getanzt.
Leider hatten wir anfangs gar keine Ahnung, wie unser heutiges Heim früher ausgesehen hat. Das ändert sich allmählich, seit uns hin und wieder Nachkommen von früheren Bewohnern besuchen und alte Fotos ihrer Grosseltern mitbringen. Die Bilder zeigen Szenen aus den frühen Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts: kinderreiche Familien, die früher hier gelebt und gearbeitet haben. Ein Ochsengespann, Gänse und Enten im Hof. Bilder aus einer anderen, längst vergangenen Zeit.
Ja, wenn Häuser Geschichten erzählen könnten….
Ruedi und Stephanie Baumann
Frankreich hat gewählt
Frankreich hat gewählt
Kolumne im heutigen Bieler Tagblatt
Séverine und Olivier, unsere Freunde im Dorf ,wollen den Linksaktivisten Mélenchon wählen. „Der Einzige der wirklich etwas Neues bringt, der mit den alten Rezepten bricht und das Geld dort holt wo es ist, bei den Reichen!“
Wir wollen taktisch wählen, für den sozialliberalen Macron stimmen, um unter allen Umständen Le Pen zu verhindern und – wichtig für uns – Europa zu retten! Nur die beiden erstplazierten Kadidaten können am 7. Mai zur Stichwahl antreten.
Auf dem sonnigen Weg zum Abstimmungslokal im kleinen Dorf treffen wir auch noch auf André, den Gemeindepräsidenten. „On veut sauver la France!“ scherzen wir. Die Urnen sind offen von morgens acht Uhr bis abends um 19 Uhr, immer betreut von mindestens zwei Personen aus dem siebenköpfigen Gemeinderat. Der ganze Aufwand für 81 Gemeindebürger, 64 Stimmberechtigte. Die Gemeinderäte sind stolz auf die neu renovierte Mairie. An der Wand hängt das Poster mit der Orchidee de Traversères, der seltenen, erst kürzlich beschriebenen, wild wachsenden Orchidee auf unseren Feldern.
Abends um punkt 20 Uhr sitzen wir alle vor dem Fernseher und sind gespannt auf die erste Hochrechnung. Macron und Le Pen erscheinen auf dem Bildschirm, Macron mit 23,9% und Le Pen mit 21,7% der Stimmen! Dahinter mit rund 20% der Stimmen Fillon und Mélenchon. Eigentlich alles so wie in den Umfragen vorausgesagt!
Wir sind erleichtert. Auch wenn die Rechtsnationalisten des Front National (bei uns Fraschos genannt) es jetzt in die Stichwahl geschafft haben, ist das Rennen gelaufen. Macron wird der nächste Präsident der Republik!
Aber wer ist dieser 39jährige Emmanuel Macron? Sein „weder links noch rechts sondern vorwärts (en marche)“ tönt wie anno 1986 als wir im Bernbiet die Freie grüne Liste gründeten… Sehr wischiwaschi, extrèmement floux!
Gehört er der „gauche réformiste“ oder der „droite sociale“ an? Wir lassen uns überraschen!
Die eigentliche Sensation der Wahl in Frankreich ist, dass die beiden grossen Parteien, die rechten bürgerlichen Republikaner und die linken Sozialisten, die seit Jahren alternierend den Präsidenten der Republik gestellt haben, es nicht einmal in die Endausmarchung geschafft haben! Aber wir dürfen auch nicht vergessen: im Juni wird auch noch das 577-köpfige Parlament neu bestellt. Was wird aus den staatstragenden Parteien? Was kann ein Präsident verändern, wenn er keine parlamentarische Mehrheit hinter sich hat? Fragen über Fragen.
Übrigens: in unserer bäuerlich geprägten Gemeinde Traversères in der France rurale betrug die Stimmbeteiligung 94%!
Am meisten Stimmen erhielt der Linksaktivist Mélenchon!
Ruedi und Stephanie Baumann
Bauernland
Kolumne im heutigen Bieler Tagblatt
Einer unserer Urgrossväter hatte sieben Söhne und zwei Töchter. Jedem seiner Söhne konnte er selber als Landwirt und Müller in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts im Bernbiet oder im Waadtland einen Bauernhof kaufen (die Töchter gingen allerdings leer aus).
Tempi passati. Einen Bauernhof kaufen können in der Schweiz nur noch Baulandbauern oder Multimillionäre. Oder es gibt zufällig einen Hof in der Familie, den die Nachfolger zum Ertragswert übernehmen können. Kulturland (und natürlich auch Bauland) ist in der Schweiz sehr teuer geworden. Eine Hektare Bauernland kostet zwanzig mal mehr als in Frankreich!
Warum das so ist? Die einfache Antwort wäre: Es hat einfach zu wenig Land in der Schweiz. Die wahre Antwort aber ist, die Schweiz hat ein nicht funktionierendes bäuerliches Bodenrecht. Die hilflosen Massnahmen des Gesetzgebers, beispielsweise Kulturlandkäufe nur noch Selbstbewirtschaftern zu gestatten, oder Höchstpreisvorschriften zu erlassen, werden laufend umgangen. Transparenz ist im schweizerischen Landpoker ein Fremdwort. Kulturland kann in der Schweiz verkauft oder verpachtet werden, ohne dass die Anstösser etwas davon wissen! Das führt zu Zerstückelungen und zu langen Anfahrstwegen auf die Felder. Haben Sie sich nicht auch schon darüber geärgert, dass sich die grossen Traktoren und Landmaschinen in der Schweiz mehr auf den Strassen als auf den Feldern aufhalten?
Ganz anders in Frankreich.
Jeder Landverkauf oder jede Verpachtung muss öffentlich ausgeschrieben werden. Bei mehreren Interessenten kann eine öffentlich rechtliche Organisation (Safer) unter Beachtung einer Reihe von Kriterien dafür sorgen, dass das Bauernland zu vernünftigen Bedingungen weitergegeben wird.
Diese Gesetzgebung hat hierzulande dazu geführt, dass die Betriebsstrukturen vernünftig bleiben, keine extreme Parzellierung entsteht, keine teuren Güterzusammenlegungen notwendig sind und sich die Bodenpreise im engen Rahmen bewegen. Eine Hektare Kulturland kostet in Frankreich um die 5000 Euros, in der Schweiz über 100’000 Franken! Darum können in Frankreich auch junge Leute in die Landwirtschaft einsteigen, die keinen Hof und keinen Multimillionär in der Familie haben.
Eigentlich ist es erstaunlich, dass nicht noch mehr Möchtegernbauern nach Frankreich auswandern. Schön wärs auch, wenn sich der schweizerische Gesetzgeber endlich etwas mehr am französischen Vorbild orientieren würde. Manchmal könnte man auch vom Nachbarn etwas lernen.
Ruedi und Stephanie Baumann
Diplomitis und Bürokratie
Kolumne heute im Bieler Tagblatt
Wer sich in Frankreich als Bauer installieren will, braucht eine Betriebsbewilligung. Bedingung für diese autorisation d’exploitation ist der Nachweis einer guten theoretischen und praktischen Ausbildung, die den französischen Anforderungen entspricht. Als Schweizer gehen wir eigentlich davon aus, dass unser Bildungssystem den europäischen Anforderungen ebenbürtig ist. Landwirtschaftliche Lehrjahre mit Lehrabschlussprüfung zählen hier jedoch gar nicht. Auch das viersprachige Fähigkeitszeugnis als Landwirt der Schweizerischen Eidgenossenschaft (Certificat de capacité) nützt nichts („Ihr seid ja nicht in der EU…“). Das schöne Diplom der Landwirtschaftlichen Schule Rütti gefällt den französischen Beamten schon besser, aber leider ist der Text nur auf Deutsch. Wir haben es umgehend auf Französisch übersetzt (diplôme…). Gilt nicht, die Übersetzung muss von einem traducteur juré gemacht werden, der allerdings nicht grad um die Ecke wohnt. Wir versuchten es auch mit dem Diplom als Ingenieur Agronom der Eidgenössischen Technischen Hochschulen (ETH) in Zürich. Die ETH Zürich sei nicht auf der Liste der von Frankreich anerkannten Hochschulen, wurde uns beschieden, nur die Ecole polytechnique de Lausanne – und dort hat es keine Agronomieabteilung! Laut Bundesamt für Berufsbildung helfen die bilateralen Verträge da nicht, weil jeder europäische Staat frei sei, CH-Diplome anzuerkennen oder eben nicht! Geholfen hat uns schlussendlich die von unserer früheren schweizerischen Wohngemeinde amtlich und französisch bestätigte Tatsache, dass wir in der Schweiz während 25 Jahren erfolgreich einen Landwirtschaftsbetrieb selbständig geführt haben.
Nun, das ist inzwischen schon sechzehn Jahre her. Seither sind wir problemlos eingebürgert worden, zu unserer Überraschung ohne übermässigen administrativen Aufwand und ohne die in der Schweiz üblichen hohen Gebühren.
Der französische Fahrausweis hingegen hat uns entschieden mehr Zeit und Aufwand gekostet als der Pass. Vorschriftsgemäss versuchten wir vor sechzehn Jahren, unsere Schweizer Ausweise in französische umzutauschen. Nach drei erfolglosen Besuchen auf der Préfecture gaben wir entnervt auf. Die Frage nach dem Heimatort (qu’est-ce-que c’est?) konnten wir zwar rasch klären, scheiterten aber je an unseren Namen, die dummerweise nicht in all unseren Ausweisen gleich geschrieben waren. Ruedi und Rudolf, Doppelname Stephanie Brigitta und dann auch noch Baumann-Bieri. Kürzlich nahmen wir erneut einen Anlauf und haben jetzt tatsächlich beide einen Permis de Conduire de la République Française. Einer lautet auf Rudolf Baumann, der andere auf Bieri Brigitta Stephanie – und beide waren gratis!
Stephanie und Ruedi Baumann
Gekaufte Demokratie
Wir SchweizerInnen sind stolz auf unsere direkte Demokratie. Zu Recht! Und natürlich sind wir überzeugt, dass unser Abstimmungs- und Wahlsystem viel besser ist als alle übrigen in Europa und der Welt.
Nächstes Wochenende ist ja wieder so ein eidgenössischer Abstimmungssonntag und in Biel wird gleichentags auch noch der Gemeinde- und Stadtrat neu gewählt. Wir Berner Auslandschweizer konnten dank e-Voting bereits ab dem 29. August unsere Stimme elektronisch abgeben, was wir als interessierte Doppelbürger natürlich sofort gemacht haben. Wohlwissend, dass wir bei allen drei Abstimmungsfragen (einmal mehr) in der Minderheit sein werden…
Warum wir das wissen?
Nun, Meinungen stehen ja nicht von allem Anfang an fest, sondern sie werden gemacht. Im Laufe eines „Abstimmungskampfes“ werden Pro und Contra diskutiert, in den diversen Medien dargestellt und erörtert, damit sich jedermann und jede Frau eine eigene Meinung bilden könne. Weil aber politische Diskussionsabende über komplizierte Sachverhalte immer weniger Anklang finden, wird das Für und Wider zunehmend an Politmarketingfirmen delegiert und mit beträchtlichem Aufwand an Plakatsäulen, in Zeitungsinseraten und in Social-Media-Werbung breitgeschlagen. Natürlich wird da nach allen Regeln der Marketingkunst Stimmung gemacht. Es wird behauptet, gehetzt und gelogen, was das Zeug hält. Und es wirkt! Leider!
Denn das Dumme an der Geschichte ist, dass in aller Regel (wir behaupten in über 90% der Abstimmungen) nicht etwa die besseren Argumente entscheiden, sondern jeweils das grössere Abstimmungsbudget!
Wir wissen es alle: Geld regiert die Welt. Das ist auch bei uns in Frankreich nicht anders. Aber wenigstens müssen bei Wahlen und Abstimmungen die Finanzen detailliert offengelegt werden und der finanzielle Aufwand ist klar begrenzt. Grössere Parteispenden von Firmen und Multimillionären sind verboten.
Dass sich – wie in der Schweiz – ein Milliardär eine politische Partei hält, dirigiert und auch noch finanziert, wäre im Land von Liberté, Fraternité, Égalité undenkbar!
Wie lange dauert es wohl noch, bis endlich auch in der Schweiz Transparenz in der Wahl- und Abstimmungsfinanzierung geschaffen wird?
Ruedi und Stephanie Baumann, Kolumne im heutigen Bieler Tagblatt
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