Hausgeschichten
Kolumne im heutigen Bieler Tagblatt
Als wir vor nunmehr siebzehn Jahren nach langem Suchen unsere „Ferme en France“ gefunden, gekauft und bezogen haben, wussten wir so gut wie gar nichts über unser neues Zuhause. Haus und Hof waren verwahrlost, Äcker und Felder stillgelegt, und beim ersten Regenschauer tropfte es unerbittlich durch die Decken der Zimmer im Obergeschoss.
Plastikplanen und unzählige Wassereimer mussten fürs erste genügen. Dann haben wir mit der ganzen Familie und Freunden renoviert, geflickt und gestrichen, was das Zeug hält. Auf den Feldern musste gerodet, gemäht, alte Baumstrünke und grosse Steine entfernt werden.
Die letzten Besitzer der Ferme waren sogenannte „pieds-noirs“. Franzosen, die nach dem Algerienkrieg 1963 Nordafrika verlassen mussten, um sich im Süden Frankreichs eine neue bäuerliche Existenz aufzubauen.
Aber die Gebäude und die stellenweise noch vorhandene Umfassungsmauer sind viel älter. Es gibt jahrhundertealte, von Hand zugeschnittene mächtige Eichenbalken, und einzelne Hausmauern sind mit Lehm und Stroh verputzt. In einigen Aussenmauern sieht man noch Schiessscharten. Überreste von einem Turm und einem Pigonnier sind Zeugen einer langen Hausgeschichte, die wir nur erst in groben Zügen haben entschlüsseln können.
Die Alteingesessenen kennen noch einige Geschichten über die bewegte Vergangenheit unserer Ferme. So hätten während der Occupation im zweiten Weltkrieg die Resistancekämpfer unter dem Parkett Waffen versteckt, und nach der Libération hätten deutsche Kriegsgefangene mit den Steinen der Hofmauern und Türme einen neuen Zufahrtsweg anlegen müssen.
Haus und Hof haben offenbar im Laufe der Jahrhunderte unzählige Handwechsel und Renovationen erlebt. In den Fünfzigerjahren stand es einige Zeit leer. Der damalige Besitzer hatte in der Nachbarschaft einen neuen Bauernhof gekauft, liess um das alte Haus herum aber noch seine Schafe weiden. Diese hätten sich ab und zu Zutritt zum Haus verschafft. Und auch die Dorfjugend sei jeweils am Samstag Abend heimlich ins Haus eingedrungen und habe zu Akkordeon Musik getanzt.
Leider hatten wir anfangs gar keine Ahnung, wie unser heutiges Heim früher ausgesehen hat. Das ändert sich allmählich, seit uns hin und wieder Nachkommen von früheren Bewohnern besuchen und alte Fotos ihrer Grosseltern mitbringen. Die Bilder zeigen Szenen aus den frühen Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts: kinderreiche Familien, die früher hier gelebt und gearbeitet haben. Ein Ochsengespann, Gänse und Enten im Hof. Bilder aus einer anderen, längst vergangenen Zeit.
Ja, wenn Häuser Geschichten erzählen könnten….
Ruedi und Stephanie Baumann
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