AUSWANDERERBLOG

Die Unvollendeten

Posted in Literatur by ruedibaumann on Dezember 26, 2016

Von den Vertreibungen aus dem Sudetenland und dem Berlin des Jahres 2002: Reinhard Jirgl, der Chronist deutscher Vergangenheit und Gegenwart, erzählt die Geschichte von vier Frauen aus der Kleinstadt Komotau, die nach dem Zweiten Weltkrieg übrig geblieben sind: die siebzigjährige Johanna, deren Töchter Hanna und Maria und die siebzehnjährige Enkelin Anna. Eine Familiensaga von Heimatlosen, die der Verlust bis heute nicht los lässt. (Klappentext)

Die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg, die Flüchtlingsströme im zerstörten Europa, der Wiederaufbau, die Landverteilung und Kollektivierung in der DDR, die Entnazifizierung, die Vertreibung der Sudetendeutschen….interessieren mich enorm. Wie viel anders war doch für mich das Aufwachsen in der vom Krieg verschonten Schweiz, in einer „ordentlichen Familie“, auf einer Insel im Meer von Hunger , Not, Trauer und Verlust.

Reinhard Jirgel komponiert einen wahnsinnig intensiven Roman, sprachlich einzigartig, experimentelle Orthografie, anspruchsvoll!

„…raus auf den schmalen Bahnsteig quellende Horden, aufgeschwemmte Häute, die Gesichter zerschunden, Müdigkeit, Alkohol, Körper wie krumme Nägel in bretterharte Lebenszeit geschlagen. Heimwärts.“

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Was hat das mit mir zu tun?

Posted in Literatur by ruedibaumann on Dezember 5, 2016

Sacha Batthyany hat die Geschichte seiner Familie aufgearbeitet und sich gefragt, welchen Einfluss Ereignisse auf uns haben, die sich vor siebzig Jahren ereignet haben. Er hat sich dabei mit einem Verbrechen im März 1945, einem Massaker an 180 Juden intensiv auseinandergesetzt.

Ein glänzend geschriebenes Buch über familiäre Abgründe in der sich die Geschichte seiner Familie mit der Geschichte Mitteleuropas verbindet.

http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/sachbuch/sacha-batthyany-und-was-hat-das-mit-mir-zu-tun-14142332.html

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Alles Licht das wir nicht sehen

Posted in Literatur by ruedibaumann on November 1, 2016

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Saint-Malo an der bretonischen Küste

Ich würde heute Saint-Malo anders erleben und ansehen als  damals,  als wir vor sieben Jahren die Bretagne bereist haben. Anders, weil ich eben den Roman von Anthony Doerr: „Alles Licht, das wir nicht sehen“ gelesen habe. https://auswandererblog.ch/?s=Bretagne

Anthony Doerr erzählt darin die Geschichte zweier Jugendlicher im Zweiten Weltkrieg, der blinden Marie-Laure, die mit ihrem Vater aus dem besetzten Paris nach Saint-Malo flieht, und des jungen Waisen Werner, der in der Wehrmacht eingesetzt wird.

Eine spannende, ergreifende, wunderschöne Geschichte! Spiegel-Bestseller und Pulitzerpreisträger! https://www.perlentaucher.de/buch/anthony-doerr/alles-licht-das-wir-nicht-sehen.html

 

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Wir Ertrunkenen

Posted in Uncategorized by ruedibaumann on August 21, 2016

Carsten Jensen erzählt von Menschen, deren Leben vom Meer bestimmt ist. Von Männern, die ihrer Sehnsucht nach Freiheit und Abenteuer folgen, und von Frauen, die dem Meer, das ihnen die Männer und die Söhne raubt, den Kampf ansagen. „Wir Ertrunkenen“ ist ein großes Buch über Liebe, Freundschaft, Verlust und Wahnsinn, voller Satanskerle, Glücksritter, Leichtmatrosen und starker Frauen.

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Wow, was für ein Buch, was für ein gewaltiges Buch! 778 spannende Seiten!

Ich habe das Buch gelesen, nachdem wir in Dänemark und auf der Ostsee waren.

Ausgangspunkt für den Autor ist die kleine Stadt Marstal auf der dänischen Insel  Ero, wo  er selber aufgewachsen ist. Er will mit dem Roman die ethnische Herkunft der Dänen als Seefahrernation in Erinnerung rufen, weil die heutigen Dänen meinen, sie seien eine Bauernnation gewesen mit Wurzeln im Ackerboden. Er schreibt dazu in einem Nachwort:

Wir leiden an einem historischen Erinnerungsverlust. Ich sehe es als einen tragischen Erinnerungsverlust an, denn er tritt zu dem ungelegensten Zeitpunkt unserer Geschichte auf; einem Zeitpunkt, an dem uns eine Entwicklung, für die wir keinen anderen Begriff haben als ein Fremdwort – die Globalisierung – , in die Pflicht nimmt zu lernen, mit dem und mit den Fremden zu leben. Ob wir das wollen oder nicht.

Das konnte der Bauer nie. Er wusste kaum von der Existenz des Fremden, sondern blieb stattdessen auf seinem Grund und Boden. Der Seemann besuchte die Fremde. Er umarmte sie vielleicht nicht, aber stets nahm er von dort etwas mit nach Hause. Vor allem brachte er das Wissen mit, dass man die Dinge auf mehr als nur eine Weise tun konnte. Ein Seemann hatte nicht nur die tägliche Aussicht auf den weiten Horizont. er wusste auch, dass es auf der anderen Seite des Horizontes noch etwas gibt und dass es nicht notwendigerweise dasselbe sein muss wie hier. Der Bauer blickte nicht weiter als zu seiner Flurgrenze, sein Weltbild gründete sich auf einer kleinen Parzelle.

Daher ist der Seemann im Zeitalter der Globalisierung ein besserer Stammvater als der Bauer, und daher ist es tragisch, dass wir uns entschieden haben ihn zu vergessen.

 

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Das Buch vom Süden

Posted in Literatur by ruedibaumann on Juli 23, 2016

Ich habe André Hellers Debütroman gelesen…..http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/in-andre-hellers-debuetroman-ertrinkt-man-im-zuviel-14213946.html

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… und schliesse mich dem Urteil der FAZ an.

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Eins im Andern

Posted in Literatur by ruedibaumann on März 23, 2016

Monique Schwitter erhielt für ihren Roman „Eins im Andern“ den Schweizer Buchpreis.

Die Kritiker sind sich nicht einig, ob ihr Roman diese Auszeichnung verdient. Von Wohlstandsmelancholie reden die einen, von einem grossen Liebesroman die andern.

Ich habe mich von dem esoterisch-religiös anmutenden Titelbild nicht abschrecken lassen und das Buch gelesenen. Durchaus mit Vergnügen. Aber lesen Sie selbst.

 

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 08.09.2015
Den hymnischen Besprechungen ihrer männlichen Kollegen zu Monique Schwitters neuem Roman „Eins im Andern“ kann sich Rezensentin Kristina Maidt-Zinke ganz und gar nicht anschließen. Überkonstruiert erscheint ihr der Roman, in dem die Autorin auf die zwölf Männer ihres Lebens zurückblickt, elf von ihnen die Namen der Apostel gibt und dabei leider nicht mehr zwischen autobiografischer Authentizität und Redundanz zu unterscheiden vermag, so Maidt-Zinke. Ironie und Kunstfertigkeit sucht die Kritikerin ebenfalls vergebens und mit zunehmender Erschöpfung hinterlässt der Roman bei ihr den Eindruck von mit „Bildungsgut unterfüttertem Dauerpathos“. Die Lektüre mag für Männer bauchpinselnd sein, für Frauen ist sie enttäuschend, schließt die Rezensentin.
Lesen Sie die Rezension bei buecher.de
Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 08.08.2015
Sanften Blick und harten Tritt attestiert Rezensent Phillip Theisohn Monique Schwitter verzückt nach der Lektüre ihres neuen Romans „Eins im Andern“. Gebannt folgt er hier der an einem Buch arbeitenden Erzählerin, die wie beim Abendmahl zwölf Männer, vielmehr Apostel um sich versammelt und sich nach jeder endenden Beziehung fragt, wohin die Liebe geht, wenn sie geht. Und so begegnen dem Kritiker in diesem dramaturgisch komplexen, mit biblischen Motiven spielenden Text zahlreiche mysteriöse, teils malträtierte Männer; der in seiner Erschöpfung an Giacomettis „Taumelnden Mann“ erinnernde Thadeusz etwa oder Andreas, dessen Oberlippe von einer Ratte zerbissen wird. Nach diesem großen Liebesroman, der die „Bestie“ Liebe auch in Form von kafkaesk anmutenden Tieren auftreten lässt, möchte der Rezensent am noch weiter in den Kanon der Liebesliteratur eintauchen – etwa mit Kleists „Penthesilea“ oder Büchners „Woyzeck“.

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Marilynne Robinson: „LILA“

Posted in Literatur by ruedibaumann on März 1, 2016

Ich hätte den Roman Marilynne Robinson: „LILA“

wohl kaum gelesen, wenn ich nicht irgendwo gehört hätte, es sei Präsident Obamas Lieblingslektüre. Und in der Tat, es ist ein ausserordentliches Buch mit einer ganz eigenen erzählerischer Magie. Man muss sich beim Lesen allerdings schon etwas Zeit lassen, um in das letzte Jahrhundert im Staate Iowa einzutauchen.

Hier auch noch ein längeres Gespräch Obamas mit der Autorin:

http://www.nybooks.com/articles/2015/11/05/president-obama-marilynne-robinson-conversation/

 

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„Vielen Dank für das Leben“

Posted in Literatur by ruedibaumann on Januar 20, 2015

So heisst ein Roman von Sibylle Berg: „Das ist kein Roman, das ist ein Manifest.“

Ein Buch, schwer auszuhalten, radikaler Pessimismus von Anfang bis am Ende. Die Geschichte:

Toto ist ein Wunder. Ein Waisenkind ohne klares Geschlecht. Zu dick, zu groß, im Suff gezeugt. Der Vater schon vor der Geburt abgehauen, die Mutter bald danach. Und doch bleibt Toto wie unberührt. Im kalten Sommer 1966 geboren, wandelt er durch die DDR, als ob es alles noch gäbe: Güte, Unschuld, Liebe. Warum, fragt er sich, machen die Menschen dieses Leben noch schrecklicher, als es schon ist? Toto geht in den Westen, wo der Kapitalismus zerstört, was der Sozialismus verrotten ließ. Nur zwei Dinge machen ihm Hoffnung – das Wiedersehen mit Kasimir und sein einziges Talent: das Singen. Es führt Toto bis nach Paris. Ein wütender, schriller Roman einer großen Autorin über das Einzige im Leben, was zählt.

Der Dank am Schluss gilt allen „die sich den Anfeindungen aussetzen, die persönliche Freiheit mit sich bringt“

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Das bin doch ich

Posted in Literatur by ruedibaumann on Juli 13, 2014

Wenn Sie sich ein paar vergnügliche Stunden machen wollen dann kann ich Ihnen den Roman „Das bin doch ich“ von Thomas Glavinic empfehlen (http://www.thomas-glavinic.de).

„Ein Mann schreibt einen Roman. Der Mann heisst Thomas Glavicnic, und dieser Mann will das was alle wollen: Erfolg: Er will einen Verlag, einen Preis, Geld. Was er hat ist ein Manuskript, Kopfschmerzen und leider zumeist unerträgliche Mitmenschen.“

 

Ich habe bei der Lektüre öfters laut gelacht und dabei manchmal gedacht: das bin doch auch ich…

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Begegnung im Zug: Offenbar lesen auch andere Leute die Bücher von Thomas Glavinic…

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Wie wir verschwinden

Posted in Literatur by ruedibaumann on April 26, 2014

Der Roman „Wie wir verschwinden“ vom deutschen Autor und Übersetzer Mirko Bonné hat mich restlos begeistert. Es geht um Erinnerung, gelebtes Leben, Lieben, Krankheit und Tod. Ausgangspunkt ist Villeblevin, wo 1960 Albert Camus bei einem Autounfall ums Leben kam.

http://www.amazon.de/Wie-wir-verschwinden-Mirko-Bonné/dp/3895614033

Raymond, Witwer mit zwei so lebhaften wie eigensinnigen Töchtern, erhält nach Jahrzehnten des Schweigens einen Brief seines todkranken Jugendfreundes Maurice, der ihn in die gemeinsam erlebte Vergangenheit zurückversetzt: nach Villeblevin, wo 1960 Albert Camus bei einem Autounfall ums Leben kam. Ein französisches Dorf und ein historisches Ereignis werden für zwei Jugendfreunde zum symbolischen Angelpunkt, um die fünfzig zurückliegenden Jahre zu erinnern und ihre Schicksalhaftigkeit anzuerkennen. Erinnerung an die eigene Jugend und Sterben eines Idols verbinden sich zu einem ergreifenden Roman, der Mirko Bonné als einen der bedeutenden Autoren unserer Zeit zeigt. Wie wir verschwinden ist ein großes Buch der Erinnerung, ein Roman unseres Lebens wie des Sterbens einer Ikone des letzten Jahrhunderts: Albert Camus.

 

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