Der Gegenbauer
Kilian Baumann ist Bauer und gleichzeitig Feindbild vieler Bauern. Etwa, weil
er für die Trinkwasserinitiative kämpft. Er hat gewusst, dass es so weit
kommen wird – von seinem Vater.
Samuel Tanner NZZaS
24.04.2021, 21.45 Uhr

Auf der Landwirtschaftsschule nannte er sich, so gut es ging,
Kilian B.: Kilian Baumann, Nationalrat der Grünen. (Suberg,
Dieser Bauernhof in Suberg im Kanton Bern, ein denkmalgeschütztes
Riegelhaus, das umgeben ist von Bächen und von Bäumen, an vielen
Tagen eingenebelt zwischen Bern und Biel, dieser Bauernhof der
Familie Baumann stand schon immer im Sturm.
Kilian Baumann, 40, Bauer und Nationalrat der Grünen, steht
zwischen dem Stall und einem alten Traktor – ein schmaler Mann
mit schönen Schuhen –, als er von den Drohungen gegen sich und
seine Familie erzählt. In den Kommentarspalten der Bauernpresse
rufen sie zu Gewalt auf, so dass er das Bild mit Partnerin und
Kindern von seiner Website gelöscht hat. Anrufe auf sein Handy
nimmt er nur noch ab, wenn er die Nummer zuordnen kann.
Er sei da reingeraten, in diesen Sturm der Politik, sagt Baumann,
seine Partnerin kritisiere das durchaus. Es hört nicht mehr auf.
Am Abend davor war er im «Club» des Schweizer Fernsehens, um für
die Trinkwasser- und die Pestizidinitiative zu reden, über die am
13. Juni abgestimmt wird. Die Initiativen wollen, dass die Bauern auf
Pestizide verzichten, auf Antibiotika, auf den Zukauf von
Futtermittel. Kilian Baumann, der neue Präsident der Kleinbauern,
sass Markus Ritter gegenüber, dem Präsidenten des grossen
Bauernverbands.
Sie sind beide Biobauern, aber damit hören die Gemeinsamkeiten
auf. Baumann trug ein feines Hemd, Ritter eine breite
Edelweisskrawatte wie ein Plakat. Baumann hat eine stille Stimme,
Ritter den häckselnden Dialekt seiner Heimat.
Ritter hat die Macht, Baumann den Zeitgeist auf seiner Seite. Und die
Macht hat den Zeitgeist schon immer gefürchtet. Ritter erstritt sich
das Wort und referierte Zahlen, bis niemand mehr folgen konnte.
Damit kommt er meistens durch. Aber Baumann ist kein leichter
Gegner. Er will den Fleischkonsum reduzieren, aber er ist nicht
Veganer, sondern Fleischproduzent. Er ist ein Bauer, wie das urbane
Milieu ihn malen würde, ein Teilzeitbiobauer und Teilzeitvater, aber
er hat nie studiert und wohnte sein ganzes Leben lang im gleichen
Dorf.
Vielleicht sind es gerade diese Widersprüche, die seine Gegner
wahnsinnig machen. Baumann ist eine stille Provokation. «Ich bin
bei vielen Bauern nicht beliebt», sagt er, «das ist der Punkt, an dem
mein Vater schon stand.»
«Kilian hat sicher auch
gelitten unter seinem Vater,
stillschweigend» – das sagt:
sein Vater.
Kilian Baumann hat früh mitbekommen, was es bedeutet, sich gegen
Grossmächte im Bauernstand auszusprechen. Der Bauernhof, auf
dem er aufgewachsen ist und den er heute führt, war besprayt mit
den Worten: «Ruedi du Wixer». Damit war sein Vater gemeint, Ruedi
Baumann. Ein Stier musste geschlachtet werden, weil Sprayer ihm ins
Gesicht sprühten, bis er böse wurde.
Das Bändli des Telefons war mit Morddrohungen belegt. Auf der
Landwirtschaftsschule nannte er sich, so gut es ging, Kilian B., um
nicht als Baumann erkannt zu werden. Das merkten seine Eltern erst
später. «Kilian hat sicher auch gelitten unter seinem Vater,
stillschweigend» – das sagt: sein Vater.
Wieso ist aus Kilian B. jetzt doch Kilian Baumann geworden?
Die Antwort liegt auf diesem Bauernhof in Suberg, der seit vielen
Generationen von der Familie geführt wird. Baumanns Grossvater
war beliebt, der Kommandant der Dorffeuerwehr, der Präsident der
Musikgesellschaft. Als er im Herbst des Jahres 1975 starb, wurde die
Hauptstrasse für den Trauerzug gesperrt. Mit ihm ging, so wird er in
der Familie beschrieben, ein zufriedener Kleinbauer in einer Schweiz
der Kleinbauern. Er war einer, der dazugehörte.
Nach dem Tod des Grossvaters brach eine neue Zeit an: auf dem Hof,
im Land. Ruedi Baumann übernahm, das zweite Kind der Familie. Er
blieb Kleinbauer in einer Zeit, als die Schweiz zu einem Land der
Grossbauern wurde. Er wurde einer, der nicht dazugehörte. Baumann
heiratete eine emanzipierte Frau aus Bern. Sie bekamen zwei Söhne,
denen sie alle Freiheiten liessen. Sie führten einen Biohof und
wurden dafür belächelt. Er trug einen langen Bart, sie trug Hosen.
Als er für seine alte Partei, die SVP, auf eine Liste wollte, wurde Ruedi
Baumann abgelehnt – weil seine Frau in einer anderen Partei sei als
er: bei der SP. Deshalb ging er zu den Grünen, deren Präsident er
später werden sollte. In den neunziger Jahren waren Ruedi und
Stephanie Baumann das erste Ehepaar im Nationalrat. Als er im
Vorstand des Bauernverbands eine Kleinbauerninitiative vorstellen
wollte, wies man ihn ab. Deshalb trat er aus dem Verband aus und
wurde zu dessen Gegner.
Provokationen, überall
Ruedi Baumann sagt: «Ich bin nicht freiwillig zum Aussenseiter
geworden.»
In Suberg wehrten sich Baumanns gegen eine Bahnunterführung –
bis heute regen sich die Leute im Dorf über sie auf, wenn sie am
Bahnübergang warten müssen. Sie wehrten sich dagegen, dass Bäche
zugedeckt wurden und eine Umfahrungsstrasse gebaut wurde. Die
Ironie ihrer Geschichte ist, dass sie die Schweiz bewahren wollten
und dabei von Konservativen bekämpft wurden.
In dieser Umgebung wuchsen die beiden Söhne auf, Simon und
Kilian. Im nahen Wald erschufen sie sich ihre eigene Welt: ein
Hüttendorf, in dem sie in den Sommerferien lebten. Einen Kleinstaat
mit eigener Währung, Strassen, Restaurants. «Die Eltern waren oft
weg und wir frei», sagt Kilian Baumann. Im Wald konnte er
irgendeinen Namen tragen.
In der Realität war es anders. Simon Baumann, der ältere Sohn, sagt:
«Wir waren nie ein weisses Blatt Papier. Wir mussten uns immer zu
unseren Eltern positionieren. Das ist unser Erbe.» Er wurde
Filmemacher und zum Beobachter seiner eigenen Familie. In dem
Dokumentarfilm «Zum Beispiel Suberg» versuchte er die
Aussenseiterrolle in seinem eigenen Dorf zu überwinden, die auch
familienbedingt war. Er trat dem Männerchor bei und blieb sechs
Jahre lang, bis zu dessen Auflösung. Zurzeit arbeitet er an einem Film
über seine Eltern und das, was sie hinterlassen.
Kilian Baumann, der jüngere Sohn, übernahm im Alter von zwanzig
Jahren den Bauernhof der Eltern. Ruedi und Stephanie Baumann
zogen sich am Anfang des neuen Jahrtausends aus der Politik und
auf einen Bauernhof in der Gascogne, Frankreich, zurück. Sie hatten
versucht, einen Hof in der Schweiz zu kaufen oder zu pachten, aber
sie fanden keinen. Auch aus politischen Gründen, sagt Ruedi
Baumann.
Am Telefon teilt er sein Leben in zwei Zeiten: In der Schweiz hätten
sie «eine gute Zeit» gehabt, in Frankreich «eine grossartige Zeit». Als
Auswanderer konnten sie ihren Namen noch einmal neu
konnotieren. Sie machen jetzt nicht mehr Politik, sie haben jetzt «ein
im ganzen Land anerkanntes Orchideenzentrum», wie er sagt.
In Suberg führt Kilian Baumann sein Erbe weiter: auf dem Hof und
in der Politik. Sein Vater sagt: «Wir sind stolz auf ihn und ziemlich
erstaunt. Vom Charakter her ist er kein Politiker.» Sein Bruder sagt:
«Mein Vater hat den politischen Kampf gesucht, er zog Energie
daraus. Hoffentlich kann Kilian das auch.» In der Familie kann
niemand erklären, wieso es ihn in die Politik zog.
Kilian Baumann erbte mit dem Bauernhof auch eine Perspektive. Er
ist Kleinbauer geworden in einer Schweiz, die Kleinbauern eigentlich
nicht mehr vorsieht. Er hat eine Obstbaumkultur wiederbelebt auf
einer Wiese, die er auch als Bauland hätte verkaufen können. Er hat
neun Rinder und ein paar Hühner und zehn Hektaren Land. Fleisch
verkauft er nur direkt ab Hof.
Nur mit seinem Bauernhof könnte er seine Familie nicht ernähren,
sie waren schon immer auf den Lehrerinnenlohn seiner Partnerin
angewiesen. Kleinbauern müssen vielleicht kreativer sein als
Grossbauern, damit sie überleben. Vieles rentiert für sie nicht.
Der Präsident der Grünen, Balthasar Glättli, will vermehrt auch die
konservative Seite seiner Partei betonen. Was ihm vorschwebt, ist
eine Art helvetisches Hüttendorf: mit lokalen Währungen, mehr Sein
als Haben, ein Leben nach den Ressourcen der Natur. Balthasar
Glättli sucht in der Vergangenheit eine Zukunft, die Kilian Baumann
auf seinem Bauernhof bereits gefunden hat.
Als Jugendlicher schnupperte Baumann auch in anderen Berufen, als
Gärtner oder als Kaufmann, aber er wollte Bauer werden, weil man
sich auf seinem Hof die eigene Welt erschaffen, oder in seinem Fall
eher: bewahren kann. Er sagt: «Es brauchte immer solche, die einen
neuen Weg gehen. Veränderungen werden belächelt, sie werden
abgelehnt, aber sie entfalten dennoch ihre Wirkung.» Er spricht von
neuen Wegen, aber neue Wege können auch zurückführen.
Um sein Erbe, diesen kleinen Bauernhof in Suberg im Kanton Bern,
zu verteidigen, muss er die Landwirtschaftspolitik verhindern, die
aus Bauernhöfen so etwas wie Bauernkonzerne machen will. Aus
diesem Grund steht er heute an dem gleichen Punkt wie damals sein
Vater.
Und das Urheberrecht?
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