AUSWANDERERBLOG

Der Gegenbauer

Posted in Politik by ruedibaumann on April 26, 2021

Kilian Baumann ist Bauer und gleichzeitig Feindbild vieler Bauern. Etwa, weil

er für die Trinkwasserinitiative kämpft. Er hat gewusst, dass es so weit

kommen wird – von seinem Vater.

Samuel Tanner NZZaS

24.04.2021, 21.45 Uhr

Auf der Landwirtschaftsschule nannte er sich, so gut es ging,

Kilian B.: Kilian Baumann, Nationalrat der Grünen. (Suberg,

Dieser Bauernhof in Suberg im Kanton Bern, ein denkmalgeschütztes

Riegelhaus, das umgeben ist von Bächen und von Bäumen, an vielen

Tagen eingenebelt zwischen Bern und Biel, dieser Bauernhof der

Familie Baumann stand schon immer im Sturm.

Kilian Baumann, 40, Bauer und Nationalrat der Grünen, steht

zwischen dem Stall und einem alten Traktor – ein schmaler Mann

mit schönen Schuhen –, als er von den Drohungen gegen sich und

seine Familie erzählt. In den Kommentarspalten der Bauernpresse

rufen sie zu Gewalt auf, so dass er das Bild mit Partnerin und

Kindern von seiner Website gelöscht hat. Anrufe auf sein Handy

nimmt er nur noch ab, wenn er die Nummer zuordnen kann.

Er sei da reingeraten, in diesen Sturm der Politik, sagt Baumann,

seine Partnerin kritisiere das durchaus. Es hört nicht mehr auf.

Am Abend davor war er im «Club» des Schweizer Fernsehens, um für

die Trinkwasser- und die Pestizidinitiative zu reden, über die am

13. Juni abgestimmt wird. Die Initiativen wollen, dass die Bauern auf

Pestizide verzichten, auf Antibiotika, auf den Zukauf von

Futtermittel. Kilian Baumann, der neue Präsident der Kleinbauern,

sass Markus Ritter gegenüber, dem Präsidenten des grossen

Bauernverbands.

Sie sind beide Biobauern, aber damit hören die Gemeinsamkeiten

auf. Baumann trug ein feines Hemd, Ritter eine breite

Edelweisskrawatte wie ein Plakat. Baumann hat eine stille Stimme,

Ritter den häckselnden Dialekt seiner Heimat.

Ritter hat die Macht, Baumann den Zeitgeist auf seiner Seite. Und die

Macht hat den Zeitgeist schon immer gefürchtet. Ritter erstritt sich

das Wort und referierte Zahlen, bis niemand mehr folgen konnte.

Damit kommt er meistens durch. Aber Baumann ist kein leichter

Gegner. Er will den Fleischkonsum reduzieren, aber er ist nicht

Veganer, sondern Fleischproduzent. Er ist ein Bauer, wie das urbane

Milieu ihn malen würde, ein Teilzeitbiobauer und Teilzeitvater, aber

er hat nie studiert und wohnte sein ganzes Leben lang im gleichen

Dorf.

Vielleicht sind es gerade diese Widersprüche, die seine Gegner

wahnsinnig machen. Baumann ist eine stille Provokation. «Ich bin

bei vielen Bauern nicht beliebt», sagt er, «das ist der Punkt, an dem

mein Vater schon stand.»

«Kilian hat sicher auch

gelitten unter seinem Vater,

stillschweigend» – das sagt:

sein Vater.

Kilian Baumann hat früh mitbekommen, was es bedeutet, sich gegen

Grossmächte im Bauernstand auszusprechen. Der Bauernhof, auf

dem er aufgewachsen ist und den er heute führt, war besprayt mit

den Worten: «Ruedi du Wixer». Damit war sein Vater gemeint, Ruedi

Baumann. Ein Stier musste geschlachtet werden, weil Sprayer ihm ins

Gesicht sprühten, bis er böse wurde.

Das Bändli des Telefons war mit Morddrohungen belegt. Auf der

Landwirtschaftsschule nannte er sich, so gut es ging, Kilian B., um

nicht als Baumann erkannt zu werden. Das merkten seine Eltern erst

später. «Kilian hat sicher auch gelitten unter seinem Vater,

stillschweigend» – das sagt: sein Vater.

Wieso ist aus Kilian B. jetzt doch Kilian Baumann geworden?

Die Antwort liegt auf diesem Bauernhof in Suberg, der seit vielen

Generationen von der Familie geführt wird. Baumanns Grossvater

war beliebt, der Kommandant der Dorffeuerwehr, der Präsident der

Musikgesellschaft. Als er im Herbst des Jahres 1975 starb, wurde die

Hauptstrasse für den Trauerzug gesperrt. Mit ihm ging, so wird er in

der Familie beschrieben, ein zufriedener Kleinbauer in einer Schweiz

der Kleinbauern. Er war einer, der dazugehörte.

Nach dem Tod des Grossvaters brach eine neue Zeit an: auf dem Hof,

im Land. Ruedi Baumann übernahm, das zweite Kind der Familie. Er

blieb Kleinbauer in einer Zeit, als die Schweiz zu einem Land der

Grossbauern wurde. Er wurde einer, der nicht dazugehörte. Baumann

heiratete eine emanzipierte Frau aus Bern. Sie bekamen zwei Söhne,

denen sie alle Freiheiten liessen. Sie führten einen Biohof und

wurden dafür belächelt. Er trug einen langen Bart, sie trug Hosen.

Als er für seine alte Partei, die SVP, auf eine Liste wollte, wurde Ruedi

Baumann abgelehnt – weil seine Frau in einer anderen Partei sei als

er: bei der SP. Deshalb ging er zu den Grünen, deren Präsident er

später werden sollte. In den neunziger Jahren waren Ruedi und

Stephanie Baumann das erste Ehepaar im Nationalrat. Als er im

Vorstand des Bauernverbands eine Kleinbauerninitiative vorstellen

wollte, wies man ihn ab. Deshalb trat er aus dem Verband aus und

wurde zu dessen Gegner.

Provokationen, überall

Ruedi Baumann sagt: «Ich bin nicht freiwillig zum Aussenseiter

geworden.»

In Suberg wehrten sich Baumanns gegen eine Bahnunterführung –

bis heute regen sich die Leute im Dorf über sie auf, wenn sie am

Bahnübergang warten müssen. Sie wehrten sich dagegen, dass Bäche

zugedeckt wurden und eine Umfahrungsstrasse gebaut wurde. Die

Ironie ihrer Geschichte ist, dass sie die Schweiz bewahren wollten

und dabei von Konservativen bekämpft wurden.

In dieser Umgebung wuchsen die beiden Söhne auf, Simon und

Kilian. Im nahen Wald erschufen sie sich ihre eigene Welt: ein

Hüttendorf, in dem sie in den Sommerferien lebten. Einen Kleinstaat

mit eigener Währung, Strassen, Restaurants. «Die Eltern waren oft

weg und wir frei», sagt Kilian Baumann. Im Wald konnte er

irgendeinen Namen tragen.

In der Realität war es anders. Simon Baumann, der ältere Sohn, sagt:

«Wir waren nie ein weisses Blatt Papier. Wir mussten uns immer zu

unseren Eltern positionieren. Das ist unser Erbe.» Er wurde

Filmemacher und zum Beobachter seiner eigenen Familie. In dem

Dokumentarfilm «Zum Beispiel Suberg» versuchte er die

Aussenseiterrolle in seinem eigenen Dorf zu überwinden, die auch

familienbedingt war. Er trat dem Männerchor bei und blieb sechs

Jahre lang, bis zu dessen Auflösung. Zurzeit arbeitet er an einem Film

über seine Eltern und das, was sie hinterlassen.

Kilian Baumann, der jüngere Sohn, übernahm im Alter von zwanzig

Jahren den Bauernhof der Eltern. Ruedi und Stephanie Baumann

zogen sich am Anfang des neuen Jahrtausends aus der Politik und

auf einen Bauernhof in der Gascogne, Frankreich, zurück. Sie hatten

versucht, einen Hof in der Schweiz zu kaufen oder zu pachten, aber

sie fanden keinen. Auch aus politischen Gründen, sagt Ruedi

Baumann.

Am Telefon teilt er sein Leben in zwei Zeiten: In der Schweiz hätten

sie «eine gute Zeit» gehabt, in Frankreich «eine grossartige Zeit». Als

Auswanderer konnten sie ihren Namen noch einmal neu

konnotieren. Sie machen jetzt nicht mehr Politik, sie haben jetzt «ein

im ganzen Land anerkanntes Orchideenzentrum», wie er sagt.

In Suberg führt Kilian Baumann sein Erbe weiter: auf dem Hof und

in der Politik. Sein Vater sagt: «Wir sind stolz auf ihn und ziemlich

erstaunt. Vom Charakter her ist er kein Politiker.» Sein Bruder sagt:

«Mein Vater hat den politischen Kampf gesucht, er zog Energie

daraus. Hoffentlich kann Kilian das auch.» In der Familie kann

niemand erklären, wieso es ihn in die Politik zog.

Kilian Baumann erbte mit dem Bauernhof auch eine Perspektive. Er

ist Kleinbauer geworden in einer Schweiz, die Kleinbauern eigentlich

nicht mehr vorsieht. Er hat eine Obstbaumkultur wiederbelebt auf

einer Wiese, die er auch als Bauland hätte verkaufen können. Er hat

neun Rinder und ein paar Hühner und zehn Hektaren Land. Fleisch

verkauft er nur direkt ab Hof.

Nur mit seinem Bauernhof könnte er seine Familie nicht ernähren,

sie waren schon immer auf den Lehrerinnenlohn seiner Partnerin

angewiesen. Kleinbauern müssen vielleicht kreativer sein als

Grossbauern, damit sie überleben. Vieles rentiert für sie nicht.

Der Präsident der Grünen, Balthasar Glättli, will vermehrt auch die

konservative Seite seiner Partei betonen. Was ihm vorschwebt, ist

eine Art helvetisches Hüttendorf: mit lokalen Währungen, mehr Sein

als Haben, ein Leben nach den Ressourcen der Natur. Balthasar

Glättli sucht in der Vergangenheit eine Zukunft, die Kilian Baumann

auf seinem Bauernhof bereits gefunden hat.

Als Jugendlicher schnupperte Baumann auch in anderen Berufen, als

Gärtner oder als Kaufmann, aber er wollte Bauer werden, weil man

sich auf seinem Hof die eigene Welt erschaffen, oder in seinem Fall

eher: bewahren kann. Er sagt: «Es brauchte immer solche, die einen

neuen Weg gehen. Veränderungen werden belächelt, sie werden

abgelehnt, aber sie entfalten dennoch ihre Wirkung.» Er spricht von

neuen Wegen, aber neue Wege können auch zurückführen.

Um sein Erbe, diesen kleinen Bauernhof in Suberg im Kanton Bern,

zu verteidigen, muss er die Landwirtschaftspolitik verhindern, die

aus Bauernhöfen so etwas wie Bauernkonzerne machen will. Aus

diesem Grund steht er heute an dem gleichen Punkt wie damals sein

Vater.

Eine Antwort

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  1. Anonymous said, on Mai 9, 2021 at 4:45 pm

    Und das Urheberrecht?

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