Wenn alle nur noch für sich sein wollen
Simon Baumanns Dokumentarfilm «Zum Beispiel Suberg» – eine schweizerische Dorfchronik
Simon Baumanns Dokumentation «Zum Beispiel Suberg» ist eine schweizerische Dorfchronik, die es in sich hat. Zwischen Sarkasmus und Melancholie beschreibt der Film den offenbar unvermeidlichen Strukturwandel im Berner Seeland.
Geri Krebs in der NZZ vom 29.11.2019
1975 war für die Familie Baumann, seit Generationen in Suberg lebend, das Jahr eines einschneidenden Ereignisses. Im Rückblick markierte es aber auch den Beginn eines Epochenwandels in dem Dorf im Berner Seeland, wo zu jener Zeit noch zwölf Bauernbetriebe existierten. Der plötzliche Tod von Rudolf Baumann, Grossvater des Filmemachers Simon Baumann, im Oktober jenes Jahres und das anschliessende Begräbnis wurden von der Dorfgemeinschaft mit einem feierlichen Trauerzug für den als Bauer, Feuerwehrkommandant und Präsident der Musikgesellschaft hochangesehenen Mann gewürdigt. Es war das letzte Mal in der Geschichte des Dorfes, dass einem Verstorbenen solcherart die letzte Ehre erwiesen wurde.
In der Anonymität
Baumann, Jahrgang 1981, kennt Begebenheiten wie die geschilderte nur aus Erzählungen seiner Eltern und aus Fotoalben, aber auch aus Filmaufnahmen, die sein Onkel, ein Super-8-Amateurfilmer, seit 1970 gemacht hatte. Mit solchem Material im Hintergrund, unterlegt mit seiner berndeutschen Kommentatorenstimme, geht Baumann in seinem ersten Kinodokumentarfilm im Alleingang auf Forschungsreise, die zwar die eigene Person ins Zentrum stellt, aber einen objektiven Sachverhalt umkreist: jenen Wandel, der im schweizerischen Mittelland in den letzten vierzig Jahren aus Bauerndörfern mit starkem sozialem Zusammenhalt anonyme Schlaforte gemacht hat, wo heute keiner mehr keinen kennt oder kennen will.
«Abfahre, oder mues i de Polizei aalüüte», droht ein Wutbürger von der Tür seines Einfamilienhauses aus dem Filmemacher. Dabei hatte dieser sich nur höflich vorgestellt und den Wunsch nach einem Gespräch zur Dorfentwicklung geäussert – es bleibt nicht die einzige schroffe Bekundung der Ablehnung, die Baumann entgegenschlägt. Wobei nicht ganz klar ist, ob so extreme Reaktionen nur Baumanns Ansinnen oder eher seiner familiären Vorbelastung geschuldet sind. Simon Baumann ist nämlich Sohn des bekannten Politikerehepaares Ruedi und Stefanie Baumann. Die beiden hatten sich in den 1980ern und 1990ern als Kleinbauern und Nationalräte von SP und GP starkgemacht für mehr Ökologie in der Landwirtschaft und auch jenen Strukturwandel bekämpft, den nun ihr Sohn in «Zum Beispiel Suberg» thematisiert. Zwar hatte das Engagement des Ehepaares nur mässigen Erfolg, es wanderte 2002 nach Frankreich aus und überliess Bauernhof und Stöckli den beiden Söhnen – im Kampf gegen die Veränderungen in Subergs Ortsbild hatten es die Baumanns aber immerhin geschafft, eine geplante Strassenunterführung unter der das Dorf durchschneidenden Bahnlinie Bern–Biel zu verhindern. Statt der Unterführung gibt es dort noch heute eine häufig geschlossene Bahnschranke, ein Dauerärgernis für so manchen motorisierten Suberger.
Dokument des Strukturwandels
Mit einer Mischung aus subtiler Ironie und ernsthaftem Sendungsbewusstsein geht Baumann auch diese Themenkomplexe an, die seine eigene familiäre Vergangenheit berühren, und wird dabei immer wieder auch zur Filmfigur, gemahnend an Michael Moore oder auch Buster Keaton. In seiner Balance aus Sarkasmus und melancholischer Erkenntnis über den offenbar unvermeidlichen Lauf der Dinge ist das genial und verrät die Hand eines so begabten filmischen Rechercheurs wie begnadeten Selbstdarstellers. Dabei entbehrt «Zum Beispiel Suberg» in wohltuender Weise des Klamauks und der allzu vordergründigen Komik, die letztes Jahr die satirische Dokumentation «Image Problem» kennzeichnete, bei der Baumann als Koautor mit von der Partie war. Zwar sind Gespräche mit Einfamilienhausbesitzern über Gartenhecken hinweg – ein Markenzeichen jenes Films – auch in «Zum Beispiel Suberg» ein gerne gebrauchtes Element, das unweigerlich die Lachmuskeln strapaziert. Aber in seiner Essenz ist der Film ein äusserst gelungenes Dokument des Strukturwandels in der ländlichen Schweiz. Es wirkt wie eine Synthese all jener «neuen Heimatfilme», die seit rund einem halben Jahrzehnt im Schweizer Filmschaffen so erfolgreich sind. Antworten auf die Frage, warum in unserer Gesellschaft die Vereinzelung immer mehr zunimmt, liefert dabei freilich auch Simon Baumann nicht. Und das ist gut so.
leave a comment