AUSWANDERERBLOG

Am Schneidetisch mit Simon Baumann

Posted in Diverses by ruedibaumann on März 13, 2012

«Zum Beispiel Suberg» (IV)
Am Schneidetisch mit Simon Baumann
M-Kulturprozent-Magazin, 7. März 2012, Simon Spiegel

Filmemacher lassen sich nur ungern bei der Arbeit über die Schulter schauen. Simon Baumann, der Gewinner des ersten CH-Dokfilm-Wettbewerbs des Migros-Kulturprozent, macht eine Ausnahme. Er gewährt uns einen exklusiven Blick auf einen Rohschnitt seines Films «Zum Beispiel Suberg».

Für einen kurzen Moment sind alle Beteiligten nervös. Simon Baumann hat sich entschieden, einen Rohschnitt seines Films «Zum Beispiel Suberg» vorzuführen – die ersten 20 Minuten. Es sei noch nichts fertig, betont er, und der alte Plasma-Fernseher, auf dem er den Film zeige, gebe die Farben nicht korrekt wieder. Ich beruhige ihn und seine Cutterin Katharina Bhend: Ich hätte Erfahrung mit Rohschnitten und glaube zu wissen, wie schnell man sich als Zuschauer vom nur scheinbar Fertigen in die Irre führen lässt. Dennoch: Auf einmal fühle ich die Last der Verantwortung. Was, wenn mir das Gezeigte nicht gefällt?
Ich mache es mir im Sessel bequem, neben mir sitzt Simon Baumanns Freundin Kathrin Gschwend, die sich die Sequenz ebenfalls zum ersten Mal anschaut. Auf dem Bildschirm ist eine Landstrasse im Nebel zu sehen, auf der die Kamera langsam entlangfährt; hinein in die endlose graue Wand, die stets zurückzuweichen scheint. Baumanns Stimme erklingt: «Mi Grossvater isch mit 55gi gschtorbe. Am Morge vom 15. Oktober 1975 het är zwöi Fueder Rüebe i d Zuckerfabrigg Aarberg gfüehrt. Uf em Rückwäg het er uf em fahrende Traktor ä Hirnschlag gha. D Zit het no glängt dr Gang use znä und zbrämse. Wo mene gfunge het isch dr Motor no gloffe.» Mit einem Schlag sind meine Zweifel verflogen. Es gibt Filme, die bereits in der ersten Einstellung präzise eine ganz eigene Atmosphäre, eine unverwechselbare Tonlage etablieren. «Zum Beispiel Suberg» gehört dazu. Vor gut anderthalb Jahren habe ich Baumann zum ersten Mal in Suberg besucht. Es war ein nassgrauer Herbsttag, das Dorf wirkte dumpf und leblos. Genau diese Stimmung beschwört der Auftakt des Films nun herauf. Genau so fühlt sich Suberg an.

Der meistgehasste Kleinbauer der Schweiz
Seit knapp anderthalb Jahren arbeitet Baumann an seinem Film über das kleine Nest im Kanton Bern, in dem er geboren wurde, wo er seine Kindheit und Jugend verbracht hat und mittlerweile wieder lebt. Sein Projekt hat den ersten CH-Dokfilm-Wettbewerb des Migros-Kulturprozent gewonnen; wenn alles nach Plan läuft, wird der Film im Januar 2013 an den Solothurner Filmtagen Premiere feiern. Die vorgeführte Sequenz, der Anfang des Films, erzählt von Baumanns schwierigem Verhältnis zum ehemaligen Bauerndorf, dessen Bewohner er während Jahren vorsätzlich ignoriert hat. Von seinem 1975 verstorbenen Grossvater, der noch fest ins Dorfleben integriert war. Und von seinem Vater Ruedi Baumann, dem früheren Präsidenten der Grünen, der auch schon als meistgehasster Kleinbauer der Schweiz bezeichnet wurde. Heute lebt Vater Baumann als Biobauer in Frankreich, vergessen hat man ihn in Suberg deswegen aber nicht. Das kriegt sein Sohn immer wieder zu spüren: Am Ende des Rohschnitts ist Simon Baumann zu sehen, wie er von Haus zu Haus geht, um sich vorzustellen. Immer wieder wird er auf seinen Vater angesprochen, nie ist der Tonfall freundlich. Ein Suberger, der offenbar besonders schlecht auf den «Bume Ruedi» zu sprechen ist, droht ihm vor laufender Kamera Prügel an.
Beim gemeinsamen Mittagessen ist die Stimmung gelöst. Ein allzu detailliertes Feedback erwartet man nicht von mir. «Es ist bereits hilfreich, den Film einfach mit jemandem zu schauen, der ihn noch nicht kennt. Schon Körperhaltung und Mimik sagen viel darüber aus, ob etwas funktioniert», erklärt Katharina Bhend. Für die junge Cutterin ist es das zweite Projekt mit Baumann. Ihre erste Zusammenarbeit, der Film «Image Problem», kommt im Oktober ins Kino. Für Baumann ist Bhends Mitarbeit essenziell: «Ich bin in dem Film so präsent, da braucht es unbedingt jemanden Aussenstehenden, der mir sagt, wo ich mich zurücknehmen soll und wo nicht.» Für ihn wirke es oft peinlich, wenn er vor der Kamera agiere. Auch mit dem Off-Kommentar habe er schon intensiv gerungen: «Ich habe ja überhaupt keine Erfahrung als Sprecher und musste viel ausprobieren. Was sage ich, wie sage ich es?» Das vorläufige Ergebnis ist ein knapper und lakonischer Kommentar, vorgetragen mit einer Stimme, die deutlich tiefer klingt als Baumanns normale Intonation, aber zur Stimmung des Gezeigten passt.

Dem Material folgen
Am Nachmittag sichten und sortieren Baumann und Bhend Rohmaterial. Ein längeres Gespräch mit einem alten Viehhändler, das Baumann vor neun Monaten gedreht hat. Die ungeschnittenen Einstellungen werden grob zerlegt und geordnet. «Das gehört zum Thema Zusammenleben», bemerkt Baumann, und schon versieht Bhend den Clip mit einem entsprechenden Marker – Dokumentarfilme entstehen am Schneidetisch. Zwar hat Baumann für «Zum Beispiel Suberg» viel konzeptionelle Vorarbeit geleistet und eine detaillierte Struktur entwickelt, beim Drehen kommt aber vieles anders. «Ursprünglich sollte der Ablauf der vier Jahreszeiten dem Ganzen einen Bogen geben, davon ist nichts übrig geblieben.» Man muss sich vom Material leiten lassen, doch ohne klaren Fokus geht es nicht. Gerade legt der 88-jährige Viehhändler seine Ansichten zum Thema Atomenergie dar. Und ich stelle überrascht fest: Auch in Suberg hat man die Notwendigkeit eines Ausstiegs erkannt. «Da hat es tolle Aussagen drin», meint Baumann, «mit dem Film hat das aber leider nichts zu tun.»
Rund zwei Drittel seines Dokumentarfilms hat Baumann abgedreht. Der gezeigte Rohschnitt fliesst bereits sehr schön und etabliert die etwas surreale Stimmung dieses Dorfes, in dem es inzwischen keinen bedienten Bahnschalter, keine Poststation und nicht einmal mehr einen Laden gibt. «Was wir heute gesehen haben, ist die Exposition. Nun muss die eigentliche Geschichte beginnen», sagt Baumann. Konkret: sein Versuch, sich ins Dorfleben zu integrieren, indem er Mitglied des Männerchors wird, dem letzten funktionierenden Verein in Suberg. Auch dafür hat er schon einiges an Material gedreht. Was noch fehlt, ist das Ende. Wie dieses aussehen wird, weiss er allerdings noch nicht. Bis zur Premiere bleibt also noch einiges zu tun, doch der Schulterblick auf seine Arbeit stimmt zuversichtlich, dass Simon Baumann das passende Ende noch finden wird.

Dieser Beitrag ist Teil einr Serie über die Entstehung von «Zum Beispiel Suberg». Bisher sind in diesem Blog diese Beiträge erschienen.

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