AUSWANDERERBLOG

Masochistische Schadenfreude

Posted in Politik by ruedibaumann on Mai 2, 2010

Roger de Weck über die Haltung der Schweiz:

„Seit sechzig Jahren vollzieht sich die europäische Einigung, und regelmässig bricht eine Europa-Krise aus. Die Schweiz wollte sich nie beteiligen am mühseligen, anspruchsvollen, alles in allem erfolgreichen Vorhaben, einen kriegerischen Kontinent zu befrieden, einen grossen Wirtschaftsraum zu öffnen, in den 1970er-Jahren die langjährigen Diktaturen (und heutigen Krisenländer) Griechenland, Spanien und Portugal beim demokratischen Neuanfang zu stützen, in den 1990er-Jahren das befreite Osteuropa aufzufangen.

Oft mussten sich die Europäer überfordern und überwinden. Manchmal haben sie gebastelt, sich durchgewurstelt, ist doch europäische Integration nichts anderes als ein steter Prozess des Interessenausgleichs und der Kompromissfindung unter 27 Mitgliedern. Die EU ist auf dem langen Weg zu einer «europäischen Eidgenossenschaft», die sich laufend finden muss. Eine solche Entwicklung ist zwangsläufig so krisenhaft wie einst das Werden unserer Eidgenossenschaft. Bei jeder Krise wetten aber viele Schweizer schadenfreudig auf das Scheitern der EU. Bislang haben sie immer die Wette verloren und das nächste Mal trotzdem wieder gewettet, stets mit dem gleichen Argument: Jetzt geht es ans Eingemachte! Ähnlich bewerten sie nun das Griechenland-Debakel. Doch Mal für Mal haben sie zweierlei übersehen: Erstens waren alle EU-Krisen Wachstumskrisen, sie bewirkten keine Desintegration, sondern noch mehr Integration. Darauf deutet auch der Fall Griechenland. Härter werden künftig der Druck und die Kontrollen, um alle zur Disziplin anzuhalten. Im Rückblick wird es sich vielleicht als Glücksfall erweisen, dass anhand des kleinen Griechenlands – 2,5 Prozent des EU-Volkseinkommens, also eine bewältigbare Grösse – Europa straffere Regeln setzt und durchsetzt. Der Schock hat bereits Portugal und Spanien bewogen, rascher umzusteuern, um auf den Pfad der Tugend zurückzukehren. Euroland dürfte daraus gestärkt hervorgehen. Und zweitens vergessen die Schadenfrohen, dass gerade die Schweiz als Land der Exporteure und transnationalen Unternehmen schweren Schaden erlitte, wenn der Euro unterginge und die Vielzahl von Währungen zurückkehrte. Euroland ist wie der europäische Binnenmarkt auch für uns ein Riesenvorteil. Das Gedeihen der EU liegt in unserem nationalen Interesse.“
(Sonntagszeitung 2. Mai 2010)
Portal der europäischen Union