AUSWANDERERBLOG

Suberg ist überall

Posted in Diverses by ruedibaumann on April 23, 2013

Heute im Bieler Tagblatt:

Dokumentarfilm
Der Seeländer Filmemacher Simon Baumann geht in «Zum Beispiel Suberg» der Frage nach, warum das Dorf
so wurde, wie es ist. Er ist kritisch, aber liebevoll; der Film melancholisch mit Humor. Am Sonntag war Premiere in Nyon.

Es gibt noch Hoffnung. Genauer
gesagt: Es gibt wieder Hoffnung.
Dank einer Frau wie Esther Hollenstein.
Sie hat in Suberg, in dem
Dorf, in dem es sonst nicht mehr
viel gibt, einen Laden eröffnet.
Er hat 9,9 Quadratmeter Fläche,
denn ab zehn Quadratmetern
hätte es eine Baubewilligung gebraucht.
Esther Hollenstein verkauft
Brot und andere kleine
Dinge, ihr Geschäft ist die Miniversion
eines Dorfladens. Es gibt
den Laden noch nicht lange, doch
Hollenstein findet Kundschaft.
Auf 9,9 Quadratmetern hat sie ansatzweise
einen neuen Treffpunkt
geschaffen, an dem sich Dorfbewohner
kurz austauschen können.

Früher war das anders.

Die historischen
Bilder belegen es. Da
war noch Leben im Dorf. Da
haben die wichtigen Männer Subergs
am Sonntag gemeinsam den
Weg zum Dorpflatz gewischt, es
war ein Ritual, eine Tradition
dieser Dorfgemeinschaft, und en
passant haben sie dabei anstehende
Probleme besprochen,
Dinge ausgehandelt. Das war eine
Art Schattenexekutive, demokratische
Legitimation oder gar die
Stimme der Frauen waren für die
Entscheidfindung nicht nötig.

Blickdicht und mannshoch

Es wäre ihm vermutlich nicht
wohl gewesen in diesem Früher,
sagt Simon Baumann in seinem
Film «Zum Beispiel Suberg».
Allzu starke soziale Kontrolle,
allzu starre Geschlechterrollen,
allzu vorgegebene Lebensläufe im
Bauerndorf. Aber früher, da gab es
auch noch Bankfilialen, eine richtige
Poststelle, einen Bahnhof
und eine Dorfbeiz in diesem Suberg.
Kurz: ein soziales Leben, eine
Dorfgemeinschaft, zum guten Teil
getragen von den 15 Bauernbetrieben.
Heute gibt es das alles fast
nicht mehr, aus der Dorfbeiz ist ein
Gourmetrestaurant geworden, in
dem der Männerchor zum Zeitpunkt
des Filmdrehs nicht mehr
willkommen ist – wenig Konsum,
dieser in Form von Bier, und dann
lange singen, das stört die anderen
Gäste. Dafür gibt es Einfamilienhäuser
mit Leuten, die lieber
für sich sein wollen, die Hecken
um diese Häuser herum pflanzen,
blickdicht und mannshoch, grüne
Gefängnismauern. Und ist die
Hecke mal etwas weniger hoch,
ist dies nicht Absicht, sondern
spätere Pflanzung.

Simon Baumann ist in diesem
Dorf aufgewachsen und hat mit
wenigen kurzen Pausen sein ganzes
Leben hier verbracht. Doch
kennt er niemanden, und seine
Freunde sind längst mindestens
in Bern, Zürich oder Berlin. «Ich
bin nicht der Typ für Fernweh»,
sagt der Filmemacher im Gespräch,
«aufs Weggehen hatte ich
wenig Lust.» Also ist er geblieben,
aus praktischen, pragmatischen
und ökonomischen Gründen.
Mittlerweile ist er selber Hausbesitzer,
er wohnt in einer früheren
Mühle, ist sozusagen festgenagelt
– und macht sich angesichts der
erwartbar noch in Suberg zu verbringenden
Zeit auf die Suche
nach Bekanntschaft und damit
gleichsam nach den Gründen, warum
Suberg heute so ist, wie es ist.

Der letzte Trauerzug

Das Früher war spätestens 1975 zu
Ende. Simon Baumanns Grossvater
starb. Zum Begräbnis gabs den
letzten Trauerzug im Dorf. Von
einem Tag auf den andern mussten
Ruedi und Stephanie Baumann
den Hof übernehmen. Simon
Baumann kennt im Dorf
zwar niemanden, aber das Dorf
kennt ihn – wegen seiner Eltern.
Das bekannte Politikerpaar hatte
weiland Einsprache eingereicht
gegen die geplante Unterführung
der Bahnlinie. Es ist damit zwar
unterlegen, doch wegen Geldmangels
wurde die Unterführung
nicht gebaut – und in der Erinnerung
mancher Dorfbewohner sind
immer noch Baumanns schuld,
dass die Autofahrer minutenlang
an der Bahnschranke warten müssen.
Die Ressentiments sitzen so
tief, dass ein Suberger gegenüber
dem Filmteam handgreiflich wird.

Offener empfangen wird der
Filmemacher im Männerchor. Es
ist einer der letzten drei Vereine
im Dorf, und auch er ist – buchstäblich
– vom Aussterben bedroht.
Die eher kraftlose Debatte
um allfällige Festivitäten zum 50-
Jahr-Jubiläum verdeutlicht die
Hoffnungslosigkeit. Auch hier:
eine fremde Welt für den Filmemacher,
wenn er als Atheist seinen
Auftritt in einem Sonntagsgottesdienst
hat. Doch der Chor hält einen
Rest an Dorfleben aufrecht
und strahlt damit Würde aus.

Reagiert, nicht agiert

Wie ist Suberg vom lebenden Dorf
zum Schlafdorf geworden? Die
Gründe sind vielfältig, es gibt
Entwicklungen, Faktoren, Verantwortliche
– der Film benennt sie,
zeigt sie, lässt sie zu Wort kommen.
Doch Baumann besucht Akteure,
nicht Schuldige. Da ist etwa der
Viehhändler Liniger, zu Geld gekommen
mit seinem Geschäft,
auch durch den Verkauf von Land,
das dann mit Einfamilienhäusern
zugebaut wurde. Da ist der Düngemittelfabrikant
Hauert, ein sozial
denkender und handelnder Patron,
der auch Benachteiligten
eine Chance gibt in der Firma, dem
eine nachhaltige Entwicklung am
Herzen liegt – der aber durch die
Entwicklung in der Branche zum
Wachstum schlicht gezwungen ist
und mit den Erweitungsbauten
das Dorfbild nicht eben verschönert
hat. Und da ist schlicht die
Entwicklung, die ein Dorf mit
günstigem Bauland und praktischer
Pendlerlage im Mittelland
eben so nimmt, gepaart mit der
Vereinzelungsmentalität vieler
Einfamilienhausbesitzer. So ist das
gegangen in der Schweiz. Suberg
ist überall. «Auch in Suberg war die
Entwicklung bestimmt vom Streben
nach mehr Wohlstand», sagt
der Filmemacher, «doch es wurde
eher reagiert denn agiert.»

Baumann beschreibt, er klagt
nicht an. Der Film ist auch keine
Satire wie zuletzt «Image Problem
». Und so findet der Filmemacher
Bilder von ebenso aussagekräftiger
Präzision wie lakonischem
Witz: auch der Ferrari muss
an der Bahnschranke warten.
Simon Baumann sagt, er habe
durch den Dreh zwar nicht gerade
eine innige Liebe zu Suberg
entwickelt, aber doch ein besseres
Verständnis für den Ort gewonnen.
Im Herbst wird der Film
auch in Suberg gezeigt. Baumann
hegt die Hoffnung, dass der Film
in den 642 Subergern nachhallt
und Wirkung zeigt – haben doch
schon während der Dreharbeiten
plötzlich Einwohner miteinander
zu sprechen begonnen, die sich
vorher noch nie begegnet sind.
Gleichzeitig wird der Männerchor
sein Jubiläum feiern.

Tobias Graden, Nyon

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