Zweisiedlerdasein
Text im heutigen Bieler Tagblatt
Zweisiedlerdasein
«Dieses Virus bringt ja einiges durcheinander! Das einzig Gute ist, dass man viel Zeit zum Lesen und Schreiben hat. Wir nehmen an, dass Ihr auch schwierige Zeiten durchmacht. Wie geht es euch?»
So haben wir in den letzten Wochen vielen Freunden geschrieben.
Ende Februar/Anfang März waren wir noch in der Schweiz zum Grosskinder und Kühe hüten. Zehn Tage litten wir an einer hartnäckigen Grippe, obwohl wir gegen die normale Influenza geimpft sind. Kein Wunder, wenn man fünf Enkelkindern mit Schnudernasen betreut. Es wäre natürlich schön, wenn das schon Corona gewesen und wir als „vulnerable, betagte Risikopersonen“ jetzt immun wären.
Nach dem Abbruch der Nationalratssession und den Schulschliessungen sind wir am Montag 16. März nach Frankreich zurückgereist, weil unsere französischen Freunde uns über Gerüchte einer bevorstehenden Ausgangsperre informierten. Gerade rechtzeitig konnten wir noch problemlos die Grenze passieren, bevor Macron das confinement mit martialischen Worten verkündete: «C’est la guerre!» Seither ist Ausgangsperre! Schulen, Restaurants und fast alle Betriebe sind bis am 11. Mai geschlossen. Man darf das Haus nur kurz aus streng definierten Gründen und ausgerüstet mit einem offiziellen Formular verlassen. Spazieren ist für eine Stunde im Umkreis von einem Kilometer erlaubt.
Mit 70 Hektaren Umschwung sind wir da doch sehr privilegiert! Wir können zeitlich unbegrenzt im Garten und auf den Feldern werkeln. Nur die zahlreichen angekündigten Besucher mussten sich leider wieder abmelden. Gesehen haben wir auf unserem Hof in den letzten Wochen nur gerade zwei Gendarmen, die sich freundlich nach unserm Befinden erkundigten. Die Nachbarn haben sich telefonisch anerboten, uns „vulnerablen Risikopersonen“ die Einkäufe zu besorgen. Das wollen wir aber so lange wie möglich selber machen, ist es doch die einzige Möglichkeit, ab und zu andere Gesichter zu sehen und ein paar Worte zu wechseln. Gespräche über den Gartenhag sind ja nicht möglich, da das nächste Haus mehr als einen Kilometer entfernt ist. Die Detailgeschäfte und der Wochenmarkt sind noch offen, natürlich mit den üblichen Abstandsvorschriften und Vorsichtsmassnahmen. Wir reduzieren solche Ausflüge auf ein Minimum und essen lieber den Salat aus dem Garten sowie Reh und Wildschwein aus dem Tiefkühler. Stephanie macht täglich ihre Orchideentouren und unterhält auf Orchideenforen im Internet die Orchidophilen, welche keine Naturwiesen vor der Haustüre haben und jetzt ausgerechnet in der Hochsaison der Orchideenblühte auf ihre Ausflüge verzichten müssen. Ruedi will noch 16 Hektaren Bio-Soja säen. Nur holzen darf er zurzeit nicht, weil zu unfallträchtig. Für die Kommunikation mit der chambre d’agriculture mussten wir eine entsprechende Konferenzsoftware herunterladen. Druckerpatronen online zu bestellen dauert. In den letzten vier Wochen kam unsere sympathische Briefträgerin nur noch zweimal vorbei. Wir erfahren die Neuigkeiten aus aller Welt über online-Zeitungen, Radio und TV. Wenn hin und wieder das Internet ausfällt, merken wir schmerzlich, wie systemrelevant die elektronischen Medien inzwischen sind.
Natürlich vermissen wir Familie und Freunde in der Schweiz. Ein Nachtessen mit dem Compi auf dem Esstisch und Skypeverbindung mit den Enkel*innen ist gewöhnungsbedürftig.
«Wir hoffen, euch geht es auch gut!
Herzliche Grüsse, ein gutes Immunsystem und blybet gsung!»
Ruedi und Stephanie Baumann
Südwest-Frankreich
Lieber Ruedi, liebe Stephanie, zu wissen, dass auch ihr diese schwierige Zeit durchstehen müsst, verbindet. Die wunderschönen Orchideenbilder bringen etwas Licht in diese dunkle Zeit. Meine wöchentlichen Videotelefone mit meinen beiden Enkelinnen sind auch für mich mehr als nur gewöhnungsbedürftig – ich finde und empfinde es als unsäglich. Ich warte und warte hier in der Schweiz tapfer auf die Grenzöffnung, damit ich endlich meine Arbeiten in Feld und Hof in meinem Haus in der Ardèche aufnehmen kann………..
Tragt Euch weiterhin Sorge, herzlich Hansjürg
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