Mehr als Honig
Kolumne im heutigen Bieler Tagblatt
Mehr als Honig
Wenn wir auf Besuch in der Schweiz sind, dann wollen unsere Grosskinder immer Geschichten von früher hören. Wir können dann unter anderem vom Bienenhaus unseres Grossvaters erzählen und in der Vergangenheit schwelgen. Auch wenn das alte Bienenhaus schon lange nicht mehr steht, sind doch die alten Imker-Utensilien aus dem Beielihuus auf dem Dachboden im Bauernhaus noch so zahlreich erhalten geblieben und so geheimnisvoll, dass die Enkelinnen und Enkel mit grossen Augen zuhören, wie man früher den feinen Hungg gemacht hat. Bienenkörbe, Rauchspender, Honigschleuder und so weiter sind seit Jahrzehnten nicht mehr im Gebrauch. Die Intensivierung und Spezialisierung der Landwirtschaft hat dazu geführt, dass der grosse Aufwand mit Arbeiterinnen, Königinnen und Drohnen nur noch auf wenigen Bauernhöfen weitergeführt wurde.
Ganz anders in unserer neuen Heimat im ländlichen Frankreich. Hier ist Apiculture nicht nur ein schönes Hobby für gestresste Städter, sondern sogar ein regelrechter Beruf für junge Leute. Sie ziehen mit den zahlreichen Bienenkästen von einer sonnigen Blumenwiese oder Waldlichtung zur anderen und produzieren mit ihren „ruches“ offenbar soviel Honig, dass sie davon leben können. Der Direktabsatz auf den Dorfmärkten ist ein gutes Beispiel für regionale Wirtschaft.
Wir wissen nicht, ob der preisgekrönte Dokumentarfilm „More than Honey“ oder die wachsende Sensibilität gegenüber der Pestizidanwendung in der Landwirtschaft, Stichwort Glyphosat, die Leute dazu gebracht hat, sich wieder vermehrt mit den kleinen, phantastischen und überlebenswichtigen Insekten zu beschäftigen. Je mehr man sich mit Bienenschwärmen, der Tanzsprache der Bienen, mit Wildbienenhotels, aber auch mit dem weltweiten Bienensterben beschäftigt, umso mehr staunt man, wie sorglos in den letzten Jahrzehnten mit der natürlichen Umwelt umgegangen wurde!
In unserem Bekanntenkreis kennen wir einige Leute, in der Schweiz sind es vor allem Städter, die sich mit grossem Engagement und ein oder zwei Bienenvölkern wieder in die Imkerei gestürzt haben. Weil dabei von April bis August viel Kontrollarbeit anfällt, verzichten sie zugunsten ihrer Schützlinge oft sogar auf die Sommerferien. Ein gutes Zeichen für kommende Generationen, und vielleicht holen unsere Enkelkinder Grossvaters Imkerausrüstung bald wieder vom Estrich herunter.
Ruedi und Stephanie Baumann
leave a comment