Ruedi Baumann, Biobauer und Grüner Sein Schaffen rief die Vandalen auf den Plan
Er kämpfte für die Kleinbauern und den Biolandbau, handelte sich Ärger und Gehässigkeiten ein. In Frankreich ist es jetzt ruhig geworden um Ruedi Baumann.
Publiziert: 07.10.2022, 20:4312

Die Fahrt über Stock und Stein dauert schon gegen eine halbe Stunde, als vor dem Traktor plötzlich ein Hase über die abgemähte Wiese hoppelt und im lichten Eichenwäldchen zur Rechten verschwindet. «Manchmal sehen wir auf den Feldern auch Füchse, und beim Haus schauen regelmässig Fasane vorbei», sagt Ruedi Baumann. Lachend fügt er an: «Wir wohnen buchstäblich da, wo Fuchs und Hase sich Gute Nacht sagen.»
Wo Fuchs und Hase sich Gute Nacht sagen – das ist Traversères, ein kleines Nest anderthalb Zugstunden und nochmals dreissig Autominuten von der südfranzösischen Metropole Toulouse entfernt. 80 Leute wohnen hier, im kleinen Dorfkern auf der Anhöhe bei der alten Kirche genauso wie verstreut in Einzelhöfen rundherum. Der Hügelzug von Traversères ist nur einer von unzähligen in dieser sanft gewellten, kargen Landschaft, in der aus der Ferne bereits die Pyrenäen mit der Grenze zu Spanien grüssen.
Auf einem solchen Einzelhof, einem 70 Hektaren grossen, biologisch geführten Betrieb, lebt der bald 75-Jährige also. Seit 22 Jahren schon, zusammen mit Ehefrau Stephanie Baumann hat er zur Jahrtausendwende seiner Seeländer Heimat den Rücken gekehrt. Die bewegten Zeiten, in denen die beiden gemeinsam im Nationalrat sassen – er für die Grünen, sie für die SP –, waren damals schon fast vorbei. Mit dem Rücktritt der beiden Ende 2003 wurde es um das Powerpaar der Schweizer Politik schlechthin endgültig ruhig.
Der Bahnübergang
Suberg, Inselmatt, eine halbe Woche vorher. Ruedi und Stephanie Baumann sind zu Gast auf ihrem alten Hof, der vom Lyssbach auf der einen und einem Kanal auf der anderen Seite komplett umschlossen wird. Seit drei Jahren sind sie hier wieder regelmässig anzutreffen, denn im Herbst 2019 hat Kilian, der Sohn und heutige Besitzer des 10-Hektaren-Heimet, ebenfalls den Sprung in den Nationalrat geschafft. Wenn nun Session ist, reisen die Eltern jeweils an, zur Mithilfe in der Landwirtschaft und vor allem zum Hüten der Grosskinder. Auch die Kinder von Simon, dem zweiten Sohn, der gleich nebenan in der alten Oele wohnt, kommen dann vorbei.
«Wenn der Bahnübergang an der Strasse hinauf nach Grossaffoltern durch eine Unterführung ersetzt worden wäre, sässen wir kaum hier.»
Und unvermittelt leben sie wieder auf, die Zeiten, in denen es um die beiden eben überhaupt nicht so ruhig war wie heute. Ruedi Baumann sitzt vor dem alten Bauernhaus im verglasten Pavillon und blickt auf das angrenzende Weideland mit seinen Obstbäumen. Gleich ist er beim Thema, das ihm und seiner Familie in Suberg bis heute schräge Blicke, ja offene Vorwürfe einbringt: «Wenn der Bahnübergang an der Strasse hinauf nach Grossaffoltern durch eine Unterführung ersetzt worden wäre, sässen wir kaum hier», sagt er. «Wir hätten den Betrieb aufgeben müssen.»
Dem Strassenbauwerk, zu dem auch ein Kreisel über den Lyssbach hinweg gehörte, wäre nämlich ein schöner Teil der Hausparzelle zum Opfer gefallen. Nur logisch, dass sich Ruedi Baumann nach Kräften zur Wehr setzte. Aber, und das betont er mit Nachdruck: Das Projekt sei letztlich am mangelnden Geld des Kantons gescheitert.
Die Initiativen
So spürbar dieses Engagement im Kleinen bis heute ist, so ganz anders sind die Spuren, die Ruedi Baumann im Grossen hinterlassen hat. Jetzt redet er davon, wie er für die Grünen politisch Karriere machte, und der Grund liegt wieder im Kleinen: Die lokale SVP, der er als Gemeinderat seit den frühen 1980er-Jahren angehörte, forderte ihn vor den Grossratswahlen 1986 auf, seine Frau von einer Kandidatur abzuhalten. Das, so befanden die Parteioberen, schicke sich für die Familie eines Bürgerlichen nicht.

Doch statt sie zurückzupfeifen, kehrte er der SVP den Rücken. Prompt wurden beide gewählt, und 1991 folgte für ihn sowie 1994 auch für sie der Sprung in den Nationalrat – kurz: Es war die Zeit, in der Ruedi Baumann als Politiker wie auch als Exponent und schliesslich Präsident der Kleinbauern regelmässig für Schlagzeilen sorgte. Zweimal legte er sich für eine Kleinbauerninitiative ins Zeug, wollte so die naturnahe Landwirtschaft fördern und dafür als neues Instrument Direktzahlungen einführen. Und zweimal scheiterte er, das erste Mal allerdings nur sehr knapp.
Umso mehr strahlt er, wenn er vom Erfolg erzählt, den die Kleinbauern mit drei Referenden gegen Vorlagen der etablierten Landwirtschaftspolitik einfahren konnten. Eine Vereinigung mit gerade mal 200 Familien im Rücken, die gleich dreimal gegen die mächtige Bauernlobby siegte, «damit hatte niemand gerechnet».
Die Schmierereien
Während der Abstimmungskämpfe gingen die Emotionen hoch. Ihren Höhepunkt erreichten die Gehässigkeiten 1995 kurz vor der Abstimmung über die drei Referenden. Unbekannte verschafften sich eines Nachts Zugang zum Heimet in Suberg, schmierten unschöne Botschaften ans Haus, liessen aus den Pneus am Traktor die Luft entweichen, versprayten sogar den Muni. Den Strahl der Dose richteten sie direkt auf seine Augen, «er war am Morgen derart verstört, dass wir ihn schlachten mussten».
Ruedi Baumann erzählt es in Frankreich, jetzt sitzt er am Gartentisch vor dem Haus, das seit 2000 sein neues Daheim ist. Mit seiner stattlichen Grösse und seinen Rundbogentüren strahlt es etwas Herrschaftliches aus, derweil er sinniert: Unter den Bauern in und um Traversères habe er nie derartige Auseinandersetzungen erlebt. Die politische Vielfalt sei viel grösser, anders als in der Schweiz müsse ein französischer Landwirt nicht zwingend bürgerlich ticken. Sondern könne durchaus auch Kommunist sein.
«Der Kollege, mit dem ich den Mähdrescher teile, arbeitet nach wie vor konventionell, und wir haben kein Problem miteinander.»
Einverstanden, anfänglich sei er auch am neuen Ort der einzige Biobauer gewesen, relativiert er gleich. Mittlerweile hätten die meisten umgestellt, nicht zuletzt der reichlich fliessenden Fördergelder wegen. Aber: «Der Kollege, mit dem ich den Mähdrescher teile, arbeitet nach wie vor konventionell, und wir haben kein Problem miteinander.»
Der Vorwurf
Mittlerweile ist der biologische Landbau breit etabliert, sogar die Discounter führen ausgedehnte Sortimente aus naturnaher Produktion. Die Direktzahlungen gehören heute zum landwirtschaftlichen Alltag, auch wenn sie nicht, wie es die zweite Kleinbauerninitiative eigentlich gewünscht hatte, nach oben gedeckelt sind. Die Grünen schliesslich erlebten einen Aufschwung, der nach den letzten eidgenössischen Wahlen vor drei Jahren eine ernsthafte Debatte über das Anrecht auf einen Bundesratssitz auslöste.

Ob er ein Pionier sei? Sich nach all den Anfeindungen in seiner Haltung bestärkt fühle, vielleicht sogar so etwas wie Genugtuung verspüre? Ruedi Baumann ist ob solcher Fragen sichtlich unwohl, er zögert und sagt nur: «Mit vielen Ansichten war ich wohl einfach zu früh dran.» Als Politiker dürfe man sich nicht einbilden, allzu grosse Spuren zu hinterlassen. Er halte es mit einem Grossratskollegen, der einmal bilanziert habe: Sein grösstes Verdienst sei, dass an einer bestimmten Ampel in Bern heute vor der Rot- noch eine Gelbphase komme.
Die Angst, arrogant zu wirken, sitzt in ihm ganz offensichtlich tief. Diesen Vorwurf hatte er während seiner Zeit im nationalen Rampenlicht immer wieder gehört, gerade auch als Präsident der Grünen Schweiz, der er von 1997 bis 2001 ebenfalls war.
Die Doppelbürgerschaft
Viel lieber redet er von der Landwirtschaft, davon, dass er in seiner Familie schon früh als derjenige bestimmt worden war, der das elterliche Heimet übernehmen würde. Ruedi Baumann sitzt wieder im verglasten Pavillon in Suberg und schweift ab zu seinem Vater. Ein traditioneller Bauer, der auf Milchwirtschaft und klassische Kulturen wie Getreide, Kartoffeln oder Zuckerrüben setzte, sei dieser gewesen, ein waschechter SVPler auch, für den das Wohl des Dorfes an oberster Stelle gestanden sei. «Dazu gehörte eine starke Primarschule im Dorf, und deshalb kam es für ihn nicht infrage, mich an die Sek in Lyss zu schicken.»
Ungehörte Pionierinnen und Pioniere
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Auf dem zweiten Bildungsweg studierte Baumann später doch noch Agrarwissenschaften, und mit diesem ETH-Abschluss im Sack liess er sich in der kantonalen Landwirtschaftsdirektion anstellen. Er stieg zum Generalsekretär auf und blieb dies auch noch, als er nach dem plötzlichen Tod seines Vaters 1975 die Inselmatt im Nebenerwerb übernahm. Erst 1983 setzte er vollberuflich auf den Betrieb in Suberg und stellte diesen auf Bio um. Nachdem er sich zuerst noch mit der integrierten Produktion hatte begnügen wollen, bei der die Anforderungen weniger hoch sind.
«Wenn wir als Schweiz schon nicht der EU beitreten, dann sind wenigstens wir als Baumanns der EU beigetreten.»
Wieso er nur 17 Jahre später den Schritt nach Frankreich gemacht hat? Ganz einfach, «wir wollten Kilian noch in jungen Jahren eine eigene Existenz ermöglichen». Nochmals betont Ruedi Baumann, wie wohl ihm und seiner Frau in Traversères ist, mittlerweile sind die beiden sogar schweizerisch-französische Doppelbürger. Ganz der überzeugte Europäer, der er schon lange ist, stellt er fest: «Wenn wir als Schweiz schon nicht der EU beitreten, dann sind wenigstens wir als Baumanns der EU beigetreten.» Und lacht.
Text Stephan Küenzi, Der Bund, BZ
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