Der fromme Ritter
Das Reich Ritters
Seine Vorbilder sind Heilige, aber er politisiert wie Machiavellis Fürst: Bauernpräsident Markus Ritter gewinnt Schlacht um Schlacht für die Schweizer Bauern. Verliert er sich dabei selbst?
Angelika Hardegger, David Vonplon (NZZ)
15.12.2020, 05.30 Uhr
Er ist mächtig und fromm: Markus Ritter, Präsident des Schweizer Bauernverbandes, Nationalrat der CVP.
Simon Tanner / NZZ
Markus Ritter ist ein frommer Katholik. Er glaubt, dass Gebete in der Politik helfen. Er glaubt auch, dass Geld und Macht den Charakter verderben. Ritter ist als Präsident der Schweizer Bauern nicht der reichste Politiker in Bern. Er ist sicher einer der mächtigsten.
Vor zwei Jahren sass Ritter mit dem Bundesrat Johann Schneider-Ammann in einer Beiz, irgendwo im Kanton Bern. Sie diskutierten über den Freihandel von Agrargütern, das Thema, das alles entzündet hatte: dass Ritter Schneider-Ammann beleidigte, ihm das Gespräch verweigerte und ihm drohte, er werde seine Politik über Jahre blockieren.
In der Beiz wurde der Streit beigelegt, der Freihandel auch. Ritter hatte gewonnen. Er wurde von Schneider-Ammann gefragt, warum er so siegessicher gewesen sei. Ritter sagte: «Ich habe tausend Berner, die jede Woche für mich beten. Wie viele hast du?»
Ritter wird von evangelikalen Gruppen unterstützt, die jede Woche für ihn beten. Er darf den Mitgliedern per Mail mitteilen, wofür genau sie beten sollen, so erzählt er es. Sein jüngstes Anliegen war es, im Parlament die grüne Reform der Landwirtschaft zu verhindern. Am Montagabend ist es ihm gelungen.
Die Reform war die Alternative zum Freihandel, der Plan B im Landwirtschaftsdepartement. Sie hätte 2022 in Kraft treten sollen. Ritter gingen die Umweltauflagen viel zu weit: Er hat monatelang dagegen lobbyiert. Am Montag hat der Ständerat die Reform «sistiert», so heisst es offiziell. Faktisch ist die Reform gestorben. Sie wird in einer Schublade beim Bund verschwinden. Dort, wo schon der Freihandel liegt.
Der Bauernverband hatte im Januar das Schicksalsjahr für die Landwirtschaft ausgerufen. Die Grünen gewinnen weiter Wahlen, doch Ritter kümmert das kaum. Er will die ökologische Wende in der Landwirtschaft verhindern, eigentlich will er jede Form von Wende verhindern. Ritter will die Bauernschweiz behalten, wie sie ist. Zu diesem Zweck heiligt er, der fromme Katholik, viele Mittel.
Es ist Ritters Paradox: Seine Vorbilder sind Heilige, aber er politisiert wie Machiavellis Fürst. Wo fängt sein Reich an? Wo hört es auf? Warum ist es so gross? Und: Könnte es bald zerfallen?
Das Büro
Das Reich von Markus Ritter beginnt am östlichen Rand der Schweiz, in den grünen Hügeln über Altstätten im Rheintal. Hinter verwitterten Schindeln eines alten Bauernhauses steigt Ritter eine Holztreppe hinunter in sein Büro. Aus der Küche riecht es nach Sauerkraut, Ritters Frau steht am Herd und ruft: «Musst halt schauen. Ich hab dort noch was hingestellt . . .».
Schwierig zu sagen, was sie gemeint haben könnte, welchen Stapel an Mäppchen, Broschüren, Heften, Büchern, welchen Ordner, welchen Ausdruck. Alles stapelt sich. Ritter sagt: «Sie sehen: Hier wird geschafft.»
Am Fenster Ritters Pult, ein Schülerpult, vermutlich hat er es von einem der Kinder übernommen. An der Wand ein Bauernschrank, den Ritter 1987 in der Bauernlehre gezimmert hat. Er lebt nach dem Prinzip: Behalte, was sich bewährt hat. Er wendet das Prinzip auf alles an, auf sein Land, die Partei, die Bauern – die Inneneinrichtung.
In Ritters Wertsystem ist Konservatismus ein Ausdruck von Bescheidenheit. Er glaubt, dass das Genügsame ihn vor den Verlockungen der Macht beschützt. Ritter bauert an einem Stotz, der so steil ist, dass eine Zahnradbahn hochfährt. Jeder Bauer aus dem Flachland würde dieses Land an der Dorf-Tombola verlosen, Ritter führt Hof und Haus allen vor, die sie sehen wollen. Er weiss, dass seine bäuerliche Bescheidenheit imponiert.
Sein Vorbild ist der heilige Augustinus, der Demut predigte, Ritter glaubt, er sei demütig qua Beruf. Kürzlich sei im Stall ein Kalb gestorben: «Alle waren da, die beiden Buben, der Tierarzt, ich. Aber das Kalb war tot. Da realisierst du, wie klein du bist. Wie ohnmächtig.»
Die Ohnmacht auf dem Hof kontrastiert mit der Macht in Bern. Ritter gilt unter Parlamentariern und in seiner Partei, der CVP, als sehr intelligent, clever, taktisch geschickt. Seine Geschichte ist weniger die des Bauern, der das Zeug hatte, ein sehr einflussreicher Politiker zu werden. Es ist vielmehr die Geschichte des sehr intelligenten Burschen, der trotzdem Bauer wurde.
In der Sekundarschule wurde er von den Lehrern beinahe auf die Kantonsschule geschickt. Doch der Geschichtslehrer sagte: «Es braucht auch gescheite Bauern.» Der Markus sollte den väterlichen Hof übernehmen. Der ältere Bruder hatte die Nachfolge ausgeschlagen. Jetzt ist Ritter 53 Jahre alt. In ein paar Jahren werden seine beiden Buben – beide sind Bauern – den Hof übernehmen. Das Bauern sei für ihn nie ein «Müssen» gewesen, sagt Ritter. Doch er wollte mehr.
Mit 24 Wahl in den Altstätter Gemeinderat, dann Präsident im St. Galler Bauernverband, Studium zum Wirtschaftsingenieur, 2011 Wahl in den Nationalrat im dritten Anlauf. Der Bauer war immer auch Politiker und der Politiker Bauer. Schon in den Gemeinderat war Ritter gewählt worden, weil er in der Viehgenossenschaft das Zuchtbuch führte.
Ritter war der erste Biobauer im Präsidium des Schweizer Bauernverbands. Von Grossbauern wird er heute noch als «Biobuurli» verniedlicht. Dieser Umstand erklärt vielleicht, warum gerade er, der Biobauer, so vehement gegen mehr Umweltschutz kämpft. Ritter muss den eigenen Leuten beweisen, dass er mehr ist.
Der Bauernverband
Im Garten des Schweizer Bauernverbands steht ein grosser Mann aus Bronze mit kräftigen Armen und Händen, die Hemdsärmel hochgekrempelt. Es ist «Der Schweizerbauer» aus der Geistigen Landesverteidigung: gesund und arbeitsam, ein nationalkonservatives Ideal.
Die Statue steht auf einem kleinen Fleck Wiese, umgeben von Beton und Kies, der Agglomeration von Brugg, wo der Bauernverband residiert. Die Statue im Garten steht wehrhaft für alle Bauern der Schweiz: Sie waren einst sehr angesehen und viele, dann wurden sie verdrängt. Von Beton, Kies und Agglomeration.
Markus Ritter blickt durch ein Fenster auf die Statue im Garten. Früher seien die Bauern «sicher auch verklärt» worden, sagt er. Es klingt aufgeklärt und ein bisschen wehmütig. Die Schlagzeilen über verschmutztes Wasser, das Bienensterben und überdüngte Wälder haben das Bild des «Schweizerbauern» angekratzt.
Wenn Markus Ritter die Bauern an Sitzungen oder vor Mikrofonen und Kameras verteidigt, echauffiert er sich in eine schrille Tonlage hoch. Die Penetranz von Stimme und Rheintaler Dialekt sind sein Erkennungszeichen. Ein Parteifreund aus dem bäuerlichen Milieu sagt, er sei der Sprechart wegen lange unterschätzt worden.
Dabei ist Ritter ein guter Rhetoriker. Er kann poltern und fesseln. Je nach Thema spricht er wie ein General, ein Bauer oder ein Wirtschaftsdozent, und immer mit Zahlen. Sie sind für Ritter eine Waffe. Er feuert Zahlen ab wie Nebelpetarden, dann stehen die politischen Gegner in der «Arena» von SRF und sortieren ihre Notizen. Doch Ritters Zahlenzitate sind mehr als Strategie. Sein Denken wird von Zahlen beherrscht.
Erzählt Ritter von der Arbeit im Bauernverband, spricht er von «1 Delegiertenversammlung, 4 Sitzungen der Landwirtschaftskammer, 10 Sitzungen im Vorstand, 15 bis 20 Sitzungen der Geschäftsleitung» und von «6000 Mails und 100 Referaten im Jahr». Die Summe heisst Fleiss und ist wesentlicher Teil von Ritters Erfolg. Er studiert jede agrarpolitische Vorlage bis in die Fussnote und rezitiert ganze Sätze mit Seitenangabe. Er sagt: «Mein Einfluss gründet in meiner Dienstfertigkeit.»
Das Reich von Markus Ritter trägt die Züge eines kleinen Staats. Die Schweizer Bauern haben eigene Krankenkassen, Versicherungen, Treuhänder oder Personalvermittlungsbüros, eigene Statistiker, Stiftungen, Architekten, Journalisten. An der Adresse des Bauernverbands sind vierzehn Unternehmen oder Stiftungen eingetragen. Muss Markus Ritter sagen, was der Verband nicht mache, sagt er: «Heiratsvermittlung!»
Fast alle Bauern sind mit dem Bauernverband verbandelt, die Politiker sowieso. Ritter wird kaum je offen von Politikern kritisiert. Die Ausnahme ist Kilian Baumann, Nationalrat der Grünen und Biobauer. Er sagt: «Jeder weiss es: Wer in ländlich geprägten Kantonen politisch Karriere machen will, legt sich nicht mit dem Bauernverband an.»
Ritters Bauernverband portiert vor Wahlen Politiker, die eine Loyalitätserklärung unterzeichnet haben. Wer nicht Mitglied ist im Verband, kommt in den landwirtschaftlichen Medien kaum vor. «Die Bauernpresse hat eine grosse Bedeutung im ganzen Konstrukt», sagt Baumann. «Die Zeitungen informieren einseitig und sind klar abhängig von den Inserenten. Also von Chemiefirmen, Baufirmen, Futtermittelvermarktern.» Laut Baumann ist der Bauernverband momentan auf der Höhe der Macht. «Weiter ausbauen können sie die Macht nicht. Jetzt kann sie nur noch bröckeln.»
Sollte die Macht der Bauern tatsächlich bröckeln, kann es in Markus Ritters Denken eigentlich nur an ihm liegen. Er hat eine grosse Schwäche für starke Führung.
Ritter sagt Dinge wie: «Der Fisch stinkt immer vom Kopf.» Oder: «Geführt wird immer. Wenn der Präsident nicht führt, führen andere.» Er wendet die Lektionen in guter Führung auf Firmen an, er sagt dann: In jeder Firma ist es so und so . . . Strenggenommen hat Biobauer Ritter nie eine Firma geleitet, sicher keine im juristischen Sinn. Doch der Bauernverband zählt 110 Mitarbeiter, so gesehen ist Ritter Chef eines grossen KMU. Er sieht sich als etwas Grösseres.
Für den Bauernverband büffelte Ritter einst Französisch, «15 Monate, 3000 Wörter», er verwendet eine der gelernten Vokabeln, um sich zu beschreiben: «le rassembleur». Der, der die Bauernschweiz zusammenhält. Ritter spricht possessiv von «meinen» Bauern und von «Bauernfamilien», selten von «Landwirten» oder «Produzenten». Die Bauern sollen für ihn mehr sein als ihr Beruf: «Wenn ich sage: Es geht um die Zukunft unserer Kinder, unserer Betriebe, unsere Perspektiven – dann habe ich eine Armee.»
Die Bauernschweiz
Eine Woche vor der Abstimmung über die Konzerninitiative schrieb Jürg Vollmer, Chefredaktor der Agrarzeitschrift «die grüne»: «Der Schweizerische Bauernverband hat Mist gebaut.» Die Kritik zielte auf Ritter, der im Verband ein Nein zur Konzerninitiative durchgedrückt hatte. Unter Bauern gab es viele Befürworter der Initiative. Im Kommentar stand: Ritter habe sie mit der Nein-Parole «vertäubt».
Vollmer verglich Ritter mit König Pyrrhos, der die Römer in einer historischen Schlacht besiegte, danach aber geschwächt war und den darauffolgenden Krieg verlor. Es dauerte zweieinhalb Stunden, da konterte Ritter in einem öffentlichen Kommentar: «Lieber Jürg, Geschichte war mein Lieblingsfach in der Schule. Ich habe mich dabei auch mit historischen Schlachten auseinandergesetzt. Um zu gewinnen, mussten die Reihen intern so weit als möglich geschlossen werden.»
Ritter will im Sommer, wenn die Pestizid-Initiativen zur Abstimmung kommen, die Reihen schliessen und in der historischen Schlacht siegreich sein. Kann er auch den Krieg gewinnen?
Er gerät mehr und mehr unter Druck. Die grossen Umweltorganisationen sind stärker geworden. Sie können gegen den mächtigen Bauernverband gewinnen, das hat die Wolf-Abstimmung vom September gezeigt. Dazu kommen Ansätze von Opposition von innen.
«Den» «Schweizerbauern», wie er im Garten des Bauernverbands steht: Es gibt ihn je länger, je weniger. Die Bauernbetriebe sind unterschiedlicher geworden. Es gibt arme Bauern und reiche, grosse und kleine, biologisch produzierende und konventionelle. Sie haben unterschiedliche Interessen.
Ritter hat die Agrarpolitik ab 2022 gestoppt, aber gewichtige Bauernorganisationen wie Bio Suisse oder IP Suisse hätten die Reform gewollt. Deren Mitglieder setzen auf Nachhaltigkeit. Sie hätten finanziell profitiert. Fritz Rothen, der Geschäftsführer von IP Suisse, sagt: «Mit dem Dogma des Bauernverbands, dass alle Bauern am selben Strick ziehen müssten, kann ich wenig anfangen. Es stammt aus der tiefen Vergangenheit, als der Bundesrat noch den Milchpreis festlegte. Diese Zeiten sind vorbei.»
Es ist die eine Möglichkeit, wie das Reich Ritters zerfallen kann: wenn die innere Einigkeit der Bauern abnimmt. Ritter sagt: «Jedes grosse Reich ist von innen zerfallen. Das alte Rom? Die hatten immer wieder dekadente Führer! Teilweise furchtbare Gestalten, hochmütige auch. Es gab Streit innerhalb, Intrigen.»
Dekadenz kann man Markus Ritter nicht nachsagen. Hochmut? Schon eher.
Das Bundeshaus
Ritter gibt sich demütig, aber manchmal überschätzt er seine Macht. Erst spät erkannte er die Gefahr der Trinkwasserinitiative und zeigte sich bereit für Konzessionen. Ritter sei fuchsteufelswild geworden, als das Parlament einen Kompromiss zur Initiative entwarf. So sagt es ein Parteikollege. Am Ende trat Ritter als prominentester Verfechter des Gegenentwurfs auf.
Markus Ritter studiert jede agrarpolitische Vorlage bis in die Fussnote und rezitiert ganze Sätze mit Seitenangabe.
Markus Ritter studiert jede agrarpolitische Vorlage bis in die Fussnote und rezitiert ganze Sätze mit Seitenangabe.
Simon Tanner / NZZ
Das forsche Auftreten von Ritter geht manchmal sogar dem Bauern und SVP-Nationalrat Marcel Dettling zu weit. Er sagt: «Ritter lässt Situationen auch mal eskalieren. Dann kann er sich als Retter der Bauern inszenieren.» Dettling erinnert an Ritters Vorgänger, Hansjörg Walter. Dieser habe jeweils früh das Gespräch mit Opponenten gesucht. Damit sei es Walter gelungen, die meisten Konflikte abzuwehren.
Andere bürgerliche Parlamentarier beschreiben Ritter (bei allem Lob) als stur, berechnend – manchmal rücksichtslos. Ein ehemaliger Kader der Bundesverwaltung nennt ihn «Populist». Je nachdem, wie es ihm gerade passe, sei man Feind oder Freund. Für Ritter, den Katholiken, gibt es keine «unheiligen» Allianzen.
Noch im Januar hatte Ritter der «Sonntags-Zeitung» erzählt, dass «für die Bauern wohl die Zusammenarbeit mit ökologischen Kräften ein Weg ist, den wir auch anschauen müssen». Nun hat er die grüne Agrarreform abgeschossen. Der neue Freund ist die bürgerliche Wirtschaft, Ritter hat sich deren Unterstützung mit einem politischen Tauschgeschäft erkauft, einem Kuhhandel. Kuhhändel sind in Bundesbern und bei den Medien verpönt. Ritter wundert sich darüber. «So macht man es doch im Leben. Man gibt, und man nimmt.»
Im Bauernhaus in Altstätten hat Markus Ritter auf dem Nachttisch den Kommentar zum Parlamentsgesetz liegen. Eine Bibel, sagt Ritter, habe man «sicher auch noch irgendwo».
Sogar beim Heiraten hilft der Staat mit “ Bauer sucht Frau“. Dass Ritter Katholik ist tut nichts zur Sache. Protestanten haben im Kanton Bern sogar Protestanten verfolgt. Siehe Geschichte Jura.Besser wäre zu überlegen: Der Staat zahlt nur noch wenn es dem Gesamtwohl der Bevölkerung zu Gute kommt.
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