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Dorfpolitik

Posted in Politik by ruedibaumann on Januar 15, 2018

Kolumne im Bieler Tagblatt 11.1.2018

Dorfpolitik

Frankreich zählt 35’416 Gemeinden. Darunter viele Kleinstgemeinden wie beispielsweise unsere commune in den Hügeln der Gascogne mit 81 Einwohnern. Da könnte man annehmen, dass es ausgesprochen schwierig sei, in diesen Dörfern genügend Personal für den Gemeinderat zu finden. Jedenfalls erinnern wir uns noch gut daran, wie mühsam es jeweils in der Schweiz war, die Listen für die Gemeindewahlen mit willigen Kandidatinnen und Kandidaten zu füllen.

Hier ist das anders. Als kürzlich ein Gemeinderatsmitglied im Amt verstarb, kandidierten nicht weniger als vier Leute für das neu zu besetzende Amt! Und obschon es auf Dorfebene keine politischen Parteien gibt, fand ein richtiger Wahlkampf statt. Die KandidatInnen präsentierten sich persönlich bei den Leuten zu Hause. Wie üblich haben sich dann auch 90% der Wahlberechtigten an die Urne begeben.

Wir SchweizerInnen sind doch nach wie vor der festen Überzeugung, nur die direkte Demokratie der Schweiz sei eine richtige Demokratie! Wenn man aber im Bernbiet die Beteiligung an den Gemeindeversammlungen in Relation zu der stimmberechtigten Bevölkerung setzt, kommt man oft nicht mal auf 5%! Nun, in einer Demokratie haben die Leute das Recht, Fehler zu machen oder eben auch einer Wahl oder Abstimmung fern zu bleiben. Schliesslich ist alles so kompliziert geworden und überhaupt hat man keine Zeit, sich auch noch um das Gemeinwesen zu kümmern.

Die Kleinstgemeinden hier im Südwesten können natürlich auch nicht alles selber lösen. Der Zentralstaat Frankreich lässt zudem den Kommunen wenig Spielraum, auch wenn immer von Dezentralisierung gesprochen wird. Viele Aufgaben werden in Gemeindeverbänden wahrgenommen. Unsere Mairie ist nur am Mittwochmorgen geöffnet, dafür sind der Gemeindepräsident und sein Suppleant immer anwesend. Fünf Gemeinden teilen sich eine Gemeindeschreiberin.

Man könne in Frankreich ja nicht über Sachthemen abstimmen, wird man zu recht einwenden. Allerdings machen wir die Erfahrung, dass sehr lebhaft und sehr lange diskutiert wird, zum Beispiel über die Ortsplanung, und dass der Gemeinderat sehr darauf achtet, einen Konsens herbeizuführen und die „Stimme des Volkes“ schliesslich umzusetzen! Schlussendlich wollen ja alle wiedergewählt werden.

Nächstes Jahr finden Wahlen für das Europaparlament statt. Wir sind gespannt, ob und wie sich die bei den Präsidentschaftswahlen arg ramponierten politischen Parteien bis dahin wieder werden aufrappeln können. Leider könnt ihr, liebe Schweizerinnen und Schweizer einmal mehr in Europa nicht mitbestimmen. Nun, das will die Mehrheit offenbar so. In einer Demokratie darf man eben auch Fehler machen!

Ruedi und Stephanie Baumann

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