Attraktives Einwanderungsland Frankreich
Ein Viertel der Auslandschweizer lebt im westlichen Nachbarland – weitgehend gleichberechtigt
Frankreich hat für Auswanderer
aus der Schweiz nichts an
Attraktivität eingebüsst. Von
Fremdenfeindlichkeit bekommen
die Auslandschweizer kaum
etwas zu spüren. Sie werden
(fast) wie EU-Bürger behandelt.
Rudolf Balmer, Paris (NZZ-Artikel von heute)
In den letzten Jahren hat die Zahl der
Schweizer, die in Frankreich leben,
noch zugenommen. Mit 190 000 bei den
Konsulaten immatrikulierten Landsleuten
– das sind mehr als ein Viertel aller
Auslandschweizer – bleibt Frankreich
weiterhin klar am attraktivsten für solche,
die es in die Ferne zieht. Allein in
der Region Paris leben rund 44 000
Menschen mit Schweizer Pass, ein Teil
von ihnen sind Doppelbürger. Manche
sind nur befristet nach Frankreich gekommen,
andere haben sich definitiv
angesiedelt und kennen die Heimat jenseits
des Juras nur noch wie Touristen
von Besuchen. Regionen wie das Burgund
und die Provence mit vergleichsweise
günstigen Immobilienpreisen ziehen
speziell auch Senioren an, die das
französische Savoir-vivre schätzen.
«Anmelden» unbekannt
Auch wenn sich gegenüber diesen
Schweizern in der französischen Gesellschaft
hartnäckig Vorurteile und Klischees
(reduzierbar auf: Banken, Berge
und Schokolade) halten, fällt ihnen die
Integration im Gastland in der Regel
besonders leicht. Das bestätigt die 28-
jährige Neuenburgerin Tatiana Tissot,
die seit gut drei Jahren als freie Journalistin
in Montpellier lebt und arbeitet.
Sie befasst sich auf ihrem Blog «Y’a
pas le feu au lac» quasi professionell
mit dem Alltag der «expatri ´es suisses».
Dort erzählt sie auch von kleinen Sticheleien
wegen ihrer Helvetismen. Sie
meint jedoch, vor allem für die Romands,
die einen weitgehend gemeinsamen
sprachlichen und kulturellen Background
mit den Franzosen haben, sei die
Assimilation einfach. Ebenso die Arbeitssuche,
bei der sie sich als Schweizerin
nie benachteiligt gefühlt hat. Als sie
in Montpellier ankam und noch kein
eigenes Erwerbseinkommen hatte, war
sie sogar bei der öffentlichen Krankenkasse
ihres französischen Partners kostenlos
mitversichert.
Eigentlich hatte sie mehr bürokratische
Hindernisse erwartet. Als sie sich
bei der Stadtverwaltung «anmelden»
wollte und man ihr amüsiert sagte, so
etwas existiere in Frankreich nicht, war
sie verblüfft. In anderen Belangen –
ausser beim Wahlrecht – werde sie fast
gleich behandelt wie eine EU-Bürgerin.
So braucht sie weder eine Aufenthaltsnoch
eine Arbeitsbewilligung.
Neue Scholle, neue Heimat
Einen speziellen Grund, nach Frankreich,
genauer: ins Departement Gers
im Südwesten, zu emigrieren hatte der
Bio-Bauer Ruedi Baumann. Der frühere
Nationalrat und Präsident der
Grünen ist überzeugt, dass er nirgends
sonst so günstig und problemlos einen
solchen Hof mit 70 Hektaren Boden
hätte kaufen können, als er seinem
Sohn sein bisheriges «Heimet» in Suberg
überliess. Dass er diesen berndeutschen
Ausdruck für den Landwirtschaftsbetrieb
verwendet, ist wohl kein
Zufall. Für einen Bauer, der seine
Scholle verlässt und anderswo den Boden
bebaut, ist dieAuswanderung etwas
Spezielles. Das Entgegenkommen der
Behörden und die Aufnahme durch die
Nachbarn in der hügeligen Gegend bei
Auch war indes so freundlich, dass Baumann
fast ins Schwärmen kommt. Von
der in anderen Gegenden sehr verbreiteten
Fremdenfeindlichkeit bekomme
er im ländlichen Gers nichts zu spüren.
Er könne sich aber vorstellen, dass er
als (inzwischen eingebürgerter) Zuwanderer
es nicht aushalten könnte, wenn
er so aggressive ausländerfeindliche
Plakate sähe wie bei Abstimmungen
über SVP-Initiativen in der Schweiz.
Bestimmt würden nicht alle in Frankreich
lebenden Schweizer in gleicher
Weise ein Loblied auf die Vorteile der
Personenfreizügigkeit dank den Bilateralen
anstimmen. Im Fall unseres westlichen
Nachbarlands muss aber zumindest
eingeräumt werden, dass nach dem
Gleichheitsprinzip der Republik in vielen
Bereichen einheimische und ausländische
Einwohner von der Administration
grundsätzlich gleich behandelt werden.
Das gilt für Steuern, Sozialversicherungen
und auch Sozialleistungen.
Traditionell versucht dieses Einwanderungsland
auch, die Immigranten zu
assimilieren und rasch durch Einbürgerung
in Franzosen zu verwandeln.
(…)
Rudolf Balmer, Paris
Filme mit Haltung
Filmautoren für das Schweizer Fernsehen sollten wieder mehr Haltung zeigen und Farbe bekennen sagt Christian Jungen in einem interessanten NZZ-Artikel:
„Einen Film mit Haltung zu drehen, heisst nicht, dass der Regisseur eine politische Parole propagiert. Es bedeutet, dass er sich einbringt, dass er, ausgehend von seinem Wertsystem, seiner Weltsicht, auf persönliche Weise Themen, Figuren und Ästhetik prägt. Im Dokumentarfilm tun dies unsere Regisseure zurzeit mit grossem Erfolg und bewundernswertem Mut. Simon Baumann verhandelt anhand seiner Biografie in «Zum Beispiel Suberg» das Problem der Schlaf-Dörfer, in «Karma Shadub» arbeitet Ramon Giger aufs Schmerzlichste sein Verhältnis zu seinem Vater auf.
Spielfilme dagegen widmen sich oft kleinen Themen. Sie drehen sich, wie «Recycling Lily» und «Lovely Louise», um Erwachsene, die noch beim Mami wohnen, und hören dort auf, wo das Drama erst beginnen würde.“
„Das Fernsehen wolle die kritischen Themen nicht, berichten Produzenten im Gespräch. Haltung wäre, sie trotzdem umzusetzen – ohne das Fernsehen gegen das Fernsehen! Oder wie es Godard postulierte: Es gälte nicht, «politische Filme zu machen, sondern Filme politisch zu machen».“
Ich bin genau gleicher Meinung. Also, liebes Schweizer Fernsehen, endlich wieder etwas mehr Mut und Haltung, auch zur Hauptsendezeit, und nicht nur seichtes, belangloses Unterhaltungsgemümmel!
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